Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921

Abschnitt 27: Arbeiter-, Bürger- und Bauernrat, Rheinlandbesetzung

Nach dem Kriege

Während es in den großen Städten drunter und drüber ging, merkte man in Camberg nur wenig von der Revolution. Einige unreife Burschen zogen durch die Straßen und verkündeten, mit roten Bändern geschmückt, aus trunkenen Kehlen den "Anbruch der neuen Zeit. Ihrem Treiben wurde Einhalt geboten durch eine Verordnung der Stadtverwaltung, die jegliches rottenweise Umherziehen untersagte und Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahre den Besuch von Wirtschaften und jeden Verkehr aus den Straßen nach 8 ½ Uhr abends verbot. Die überwiegend große Mehrheit der Bürgerschaft stand dem ganzen revolutionären Treiben entweder gleichgültig oder widerwillig gegenüber. Freilich eine Errungenschaft der Revolution wollten doch auch die Camberger sich nicht entgehen lassen. Am Sonntag, den 24. November, wählten sie sich in einer Bürgerversammlung, die im Bayrischen Hof stattfand, nach berühmtem Muster einen neunköpfigen Arbeiter-, Bürger- und Bauernrat. Der Arbeiterrat bestand aus den Herren Stukkateur Josef Schmitz, Stukkateur Johannes Velte und Viehhändler Josef Edelstein, der Bürgerrat aus den Herren Amtsrichter Ruppel, Kaufmann Carl Stockmann II und Tierarzt Bernhard, der Bauernrat aus den Landwirten Wilhelm Neuberger, Joses Hartmann und Moritz Weber. Aber dieser „Räteregierung" war nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Schon am 12. Dezember löste sie sich auf, weil der Feind die Anerkennung aller Art von „Räten" im Bereich der neutralen Zone verweigerte. Im Grunde war sie selber froh, daß sie einen solchen Anlaß zum Rücktritt fand; denn sie hatte sich während ihres dreiwöchentlichen Daseins vergeblich nach erstrebenswerten Zielen umgesehen.

Am 18. Dezember wurde das Gebiet der Festung Mainz im Umkreis von 30 km besetzt. Walsdorf, Esch und Wallrabenstein wurden „französisch". Der Feind vor den Toren unserer Stadt! Wer hätte das je gedacht? Die Franzosen hoben jeden Zugverkehr aus dem unbesetzten in das besetzte Gebiet zunächst auf. Wer nach Frankfurt wollte, mußte über Gießen fahren. Nach kurzer Zeit fuhren die Züge nach Frankfurt wieder. Aber ihre Benützung war nur den Inhabern von Pässen gestattet, die von der französischen Behörde genehmigt waren. Es dauerte anfangs oft ein Vierteljahr und noch länger, bis der eingereichte Paß zurückkam. Späterhin ging es rascher.


Empfohlene Zitierweise: „Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921, Abschnitt 27: Arbeiter-, Bürger- und Bauernrat, Rheinlandbesetzung“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/34-27> (aufgerufen am 29.04.2024)