Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921

Abschnitt 24: Ersatzstoffe und Beimischungen, Sammelaktionen

[44-46] Aufs schwerste empfanden es viele Männer, daß fast kein anständiger Tabak mehr zu haben war. Seitdem der Bundesrat [S. 45] durch Verordnung vom 28. Februar gestattet hatte, daß bei der Herstellung von „Tabakwaren" Linden-, Ahorn-, Kastanien- und Platanenblätter verwandt werden durften, wurde manch böses Kräutchen in die Luft geblasen. Da zogen es viele vor, sich ihren „Tuwak" selbst herzustellen. Einige legten in ihrem Garten kleine Plantagen an. Die Pflanzen gediehen zwar, aber die Frucht taugte im allgemeinen wenig, da es an der sachgemäßen Behandlung und Zubereitung mangelte. Andere begnügten sich mit Haselnußblättern, denen sie etwas Waldmeister beimischten. Das war bekömmlich und wohlriechend.

Im Juni bat die Reichsstelle für Schuhversorgung in einem Rundschreiben die Lehrerschaft der Schulen, darauf hinzuwirken, daß die Kinder während des Sommers barfuß oder in Sandalen gingen und in der kälteren Jahreszeit sich der Kriegsschuhe mit Holzsohlen bedienten. Die Schafwolle mußte dieses Jahr restlos abgeliefert werden. Dafür stellte die Heeresverwaltung den Abgebern schönes Wollgarn zu mäßigem Preise zur Verfügung, und zwar bei Ablieferung der Wolle je eines Schafes 1 Pfund. Die Zahl der beschlagnahmten Gegenstände schwoll immer weiter an. Mauersteine und Dachziegel, Benzin und Benzol, Ferngläser, Häute aller Art, Menschenhaare u. a. in. wurden dem freien Handel entzogen. Vielen Aerger bereitete den Hausfrauen die „Kriegsseife", die fast ohne jeden Fettgehalt und kaum zu gebrauchen war. Man behalf sich, indem man bei der jährlichen Hausschlachtung sämtliche Abfälle und Knochen sammelte. Daraus wurde unter Zusatz von Seifenstein eine halbwegs verwendbare Seife gekocht, wobei sich das ganze Haus mit einem abscheulichen Geruch erfüllte.

„Ersatz" war Trumpf. Da das Ausland keine Rohstoffe mehr lieferte, kamen Papierstoffe in den Handel. Anzüge, Wäsche, Decken, Säcke, Kordel, fast alles war aus Papier. Der Papierstoff konnte nicht viel vertragen, am allerwenigsten einen guten Regen. Die Papierkordel taugte anfangs keinen Schuß Pulver später besserte sie sich.

Im Juli zog fast tagtäglich die Schuljugend in den Wald hinaus, um Laub zu strippen, das getrocknet, vermahlen und zu Futterkuchen für die Kriegspferde verarbeitet wurde. Im Kreise Limburg wurden bis Ende Juli über 1000 Zentner an die zuständige Sammelstelle abgeliefert. Besonders gern sangen die Kinder auf diesen Waldgängen das von unserem nassauischen Dichter Rudolf Diez verfaßte „Laabstripperlied":

[Es folgt der Text des Laabstripperlieds]


Empfohlene Zitierweise: „Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921, Abschnitt 24: Ersatzstoffe und Beimischungen, Sammelaktionen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/34-24> (aufgerufen am 29.04.2024)