Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 8: Gedicht "Germanias Gebet" von Wilhelm Bünting

[21-24]

Germanias Gebet.

Wunderbare Klängen
Lauschte jüngst mein Ohr,
„Hosianna“ – sängen
Englein wohl im Chor.
Blutig roter Himmel
Weicht dem klaren Licht,
Und das all bedecket
Blaue Wolkenschicht.
Vorfrühling im Walde,
fernab dumpfes Rollen,
In den Bergesschluchten
Tük’sche Geister grollen


Plötzlich, sehr und mächtig,
Weiß nicht, wies geschah,
Steht im Kriegskleid prächtig
Stolz Germania
Auf der Felswand droben,
Strahlend Sonnenlicht
Hält sie Glanz umwoben,
Und voll Inbrunst spricht
Sie gen Himmelshöhen:
„Herr, der Menschheit Hort,
Schenktest deutschem Flehen
Stets ein gnädig Wort.


Schlugst mit schweren Wunden,
Feindes List und Spott [S. 22]
Bliebst zu allen Stunden
Unser deutscher Gott!
Herr du weißt, daß schuldlos
Wir an diesem Streit,
daß uns angegriffen
Habgier, Haß und Neid!
Daß der Lügenbrite
angesteckt die Welt,
daß echt deutsche Sitte
hoch die Wahrheit hält!
Herr im Völkerringen
Floß viel deutsches Blut;
Nichts kann uns bezwingen,
Stehn in deiner Hut.


Doch – das Herz will brechen,
Seh ich all das Leid,
das schon angehäufet
diese schwere Zeit.
Herr blick in die Hütten,
wo der Tod zog ein,
Wo um Mann und Söhne
Weint manch Mütterlein.
Wo im Selbstverleugnen
Man vom Schmerz nicht spricht,
wo auch jungen Bräuten,
schier das Herze bricht.[S. 23]


Sieh die Schwerverletzten,
Um ihr Glück gebracht,
Sieh, auch die Entsetzten,
Trieb in Geistesnacht
Herr, sieh an die Armen,
Jedes Licht beraubt
Herr, o hab‘ Erbarmen
„Treff den Feind aufs Haupt!“
Daß ersehnter Frieden
Wieder kehre ein,
daß der Welt beschieden
Freudiges Gedeihn!


Weh‘ am Himmelsbogen
Düst’re Wolken stehn
Plötzlich Blitze zucken,
Schaurig anzuseh’n,
Und der Erdball bebet
Als sollt‘ er vergehn !!!
Es hat eingeschlagen
In der Felsenschlucht
Seht, die „Lügengeister“
Eilig auf der Flucht
Donnernd schallt’s von oben:
„Buben seid verflucht
Die ihr stets das Unheil
auf der Welt gesucht!
Hin nach Englands Küsten[S. 24]
Seid fortan verbannt!
Sollt ein Dasein fristen,
Würdig eurer Schand!“


Jetzt teilen sich die Wolken
Ein Lichtstrahl bricht hervor,
Als ob zur Erde offen,
das goldne Himmelstor!
Ein Bild gar wunderlich
Erblickt Germania!
All‘ die gefallnen Helden,
Sie stehen verklärt nun da.
Zu Füßen uns’re Feinde
Reuig um Gnade flehen
Man sieht manch‘ Engelsäuglein
In Freudentränen seh’n.
Und wunderbarem Klingen
Lauscht nun Germania Ohr,
Hört „Hosianna“ singen
Viel Englein dort im Chor;
Und Friedenspalmen winken,
Undt heller Jubel lacht!
Da plötzlich – sollt‘ versinken
Das Bild in dunkler Nacht!


Wilhelm Bünting, Kassel


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Personen: Wiedemann, Klaus · Germania · Bünting, Wilhelm
Orte: England · Kassel
Sachbegriffe: Feinde · Blut · Tod · Schmerzen · Schwerverletzte · Arme · Kriegsgedichte
Empfohlene Zitierweise: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 8: Gedicht "Germanias Gebet" von Wilhelm Bünting“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/13-8> (aufgerufen am 16.04.2024)