Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 5: Eintreffen erster Verwundeter in Kassel

[11-12]

Wie die ersten Verwundeten in Kassel eintrafen.

Nach den ersten großen Gefechten und dem Sturm von Lüttich hatten wir natürlich auch Verwundete und Tote. Die Festung Lüttich war am 7. August gestürmt und am 12. August kamen die ersten Verwundeten nach Kassel. Am Tage vorher hörte ich von einem Sanitäter, daß morgen ein Transport Verwundeter kommen sollte. Da ich noch keine gesehen hatte, faßte ich den Entschluß, einmal an den Bahnhof zu gehen, um mir die verwundeten Krieger anzusehen. Als ich nun an dem Tage hinkam, sah ich schon zu meinem größten Erstaunen, daß sich so viele Leute angesammelt hatten. Die Schutzleute mußten nun Ordnung schaffen, damit die Kranken-Fahr- und Räderbahren ungehindert durchfahren konnten. Endlich um 5 Uhr lief der Verwundetenzug ein. Er war ziemlich lang und kenntzeichnet sich durch andere Züge dadurch aus, das er auf jeden Wagen ein großes rotes Kreuz hat.

Wir dachten nun, die Verwundeten würden gleich [S. 12] ausgeladen und herauskommen, aber wir hatten uns geirrt; denn die verwundeten wurden noch gespeist und verbunden. Erst nach einer ½ Stunde kamen die ersten. Sie waren alle leichtverwundet und hatten meistens Armschüsse. Sie wurden mit einer Elektrische nach den bestimmten Laza[retten] gefahren. Gleich hinter diesen kam ein großer, verdeckter Wagen. Auf diesen standen sechs Tragbahren. Es waren meist solche, die am Bein eine Verwundung hatten. Doch sie hörten noch lange nicht zu den schwerverwundeten. Es wurden ihnen viele Liebesgaben dargereicht, besonders Obst, wofür sie sich vielmals bedankten. Als nun einige Wagen dieser leichtverwundeten abtransportiert waren, kamen nun die letzten verwundeten an die Reihe. Sie wurden vorsichtig auf Bahren getragen. Manche von ihnen hatten keine Beine und Arme mehr, anderen dagegen fehlte das Augenlicht. Noch andere hatten innere Krankheiten. Viele von ihnen waren sehr zu bedauern, daß sie in ihrem jungen Alter ihre Glieder für das Vaterland opfern mußten. Nach dem nun alle Verwundeten in der Lazaretten untergebracht waren, begab ich mich wieder nach Hause.


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Erläuterungen: Seitengestaltung:
Seite 11: Eingeklebte kolorierte Postkarte. Motiv: Vier deutsche Sanitätssoldaten an einem Sanitätsfuhrwerk. Auf den Wagen ist eine Rot-Kreuz-Fahne aufgesteckt. Bildaufschrift: "Feldapotheke".
Seite 12: Aufgemaltes rotes Kreuz.
Personen: Wiedemann, Klaus
Orte: Kassel · Lüttich
Sachbegriffe: Verwundete · Gefallene · Sanitäter · Verwundetenzüge · Lazarettzüge · Straßenbahn · Lazarette
Empfohlene Zitierweise: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 5: Eintreffen erster Verwundeter in Kassel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/13-5> (aufgerufen am 19.04.2024)