Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916

Abschnitt 5: Einschränkter Zugverkehr, Vaterländischer Frauenverein

[Sp. 237]
[Fortsetzung im 8. Jahrgang, 1914, Nr. 9 vom 31. Oktober 1914, Sp. 237-241]


Und nun ist auch der zweite Mobilmachungstag, der Montag, zu Ende und mit ihm ist dem regelmäßigen Eisenbahnverkehr ein Ziel gesetzt. Nun fahren nur noch vier Züge in jeder Richtung: nachts 3.30, vormittags 7.30, nachmittags 3.30 und 7.30 nach Marburg und vormittags 4.45, 8.45 und nachmittags 4.45 und 8.45 nach Kreuztal. Das sind einschneidende Aenderungen, die sich da vollziehen und Niemand will sich recht daran gewöhnen. Die günstigen Fahrgelegenheiten zu den benachbarten Hütten haben aufgehört, die Güterzüge fahren schon seit Montag überhaupt nicht mehr, die Dillenburger Züge nur in beschränktem Umfange bis und ab Wallau und die wenigen Züge, die den Verkehr vermitteln, nehmen ein Zeitmaß an, das die Fahrtdauer bis Marburg gegen sonst fast verdoppelt, ja, es ist, als ob auch nie Eisenbahnzüge mit ihrer langsamen Fahrt ihre Trauer an den ernsten Ereignissen zum Ausdruck bringen sollten. Der Beförderung der Krieger dient von nun ab hauptsächlich der Nachtzug in der Richtung nach Marburg. Da geht es am Dienstag und in den folgenden Nächten gar lebhaft zu. Groß ist die Zahl der Reservisten, die, aus Westfalen kommend, die Station Biedenkopf berühren und groß die Zahl derer, die hier zusteigen; aber ob es auch inmitten der Nacht ist, die Damen des Vaterländischen Frauenvereins lassen es sich nicht nehmen, die Reisenden mit Speise und Trank zu laben. Den durchfahrenden Männern soll es an nichts mangeln und dann: es werden doch auch Truppen auf der Durchfahrt erwartet. Das ist aber nicht der Fall; außer unsern deutschen Reservisten sind es in der zweiten Hälfte der Woche nur Italiener, die von Siegen, Altona, Iserlohn und anderen Orten kommen, um ihrem Einberufungsbefehle Folge zu leisten. Als die ersten Mobilmachungstage verflossen sind, darf deshalb die freie Liebestätigkeit des Frauenvereins aufhören. Seine Mitglieder aber können sich anderer Arbeit hingeben. Es gilt, die Fürsorge für die Hinterbliebenen zu ordnen und Liebesgaben herbeizuschaffen, die den Helden ins Feld zu schicken und in den Lazaretten und Krankenhäusern vonnöten sind. Dann gilt es, vorbereitende Schritte zu tun für etwa nötig werdende Unterbringung von Verwundeten und schließlich auch sich über deren Pflege belehren zu lassen. Schon am Sonntag hatte eine Versammlung stattgefunden, in der der unermüdliche Kreisarzt Dr. Tenbaum einen, großen Kreis von Damen und Herrn sein Programm entwickeln konnte. Die Worte des Arztes haben fruchtbaren Boden gefunden. Der Samariterkursus, den er einrichtet, begegnet alsbald einem großen Zuspruch, und Rotes Kreuz und Vaterländischer Frauenverein wetteifern „in die Erfüllung ihrer edlen Aufgabe, die Krieger im Felde mit Kleidungsstücken, mit Nahrungs- und Genußmitteln aller Art zu versorgen. Mittel und Gaben fließen reichlicher als man zu hoffen gewagt hatte, eine Liebestätigkeit von überwältigender Größe! Die Gaben werden im städtischen Wohnhause im Bachgrund, da, wo ehedem die Firma Kilian ihre Garne und Tuche zum Verkaufe anbot, aufgestapelt und harren des Abrufs.


Personen: Tenbaum, Dr., Kreisarzt · Spieß, Karl
Orte: Biedenkopf · Marburg · Wallau · Dillenburg · Kreuztal · Westfalen · Siegen · Altona · Iserlohn
Sachbegriffe: Mobilmachung · Zugverkehr · Güterzüge · Reservisten · Vaterländischer Frauenverein · Bahnhofswachen · Liebestätigkeit · Liebesgaben · Lazarette · Verwundete · Rotes Kreuz
Empfohlene Zitierweise: „Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916, Abschnitt 5: Einschränkter Zugverkehr, Vaterländischer Frauenverein“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/1-5> (aufgerufen am 26.04.2024)