Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916

Abschnitt 9: Kriegsversicherung, Landsturm, allgemeine Zuversicht

[Sp. 240-241] Ein segensreiches Werk hat die Nassauische Bezirksverwaltung geschaffen: eine Kriegsversicherung zu Gunsten der Hinterbliebenen gefallener Krieger. Erfreulicher Weise werden die Vorteile der Versicherung in allen Schichten der Bevölkerung anerkannt und gewürdigt. Frauen bringen ihre Spargroschen, um sich ein, wenn auch noch so kleines Kapital zu sichern, Behörden treten für ihre Beamten ein und unser Liederkranz hat es sich nicht nehmen lassen, seine Sänger, soweit sie unter der Fahne stehen, in die Versicherung einzukaufen – ein nachahmenswertes Beispiel edler Gesinnung! Gott schütze unsere Krieger!

Die meisten von ihnen stehen im Feld, die meisten auch werden die Feuertaufe bereits erhalten haben. Viele aber weilen Ende des Monats noch immer in Marburg, die Einen bilden aus, die Andern werden ausgebildet. Wenn aber der Samstag kommt, werden Urlaubskarten erboten und die Landsturmmänner kommen her, ihre Familien zu besuchen. Da sieht man vollständige Felduniformen, aber auch seltsame Bekleidung: Litewke und Civilhose, Civilanzug und weiße Armbinde oder auch ohne eine solche. Und wenn die Krieger am Sonntag Abend wieder Abschied nehmen, dann gibts aufs neue Tücherschwenken, aber die Sache wird schon gar nicht mehr so ernst genommen.

In der Stadt selbst ist sonst herzlich wenig kriegerisches zu spüren. Viele bedauern es und fahren ab und zu mal nach Marburg. Da wimmelt es von Soldaten. Es heißt, jeder dritte Mensch sei ein Soldat, ja man geht noch weiter und behauptet, jeder dritte Mensch sei ein Civilist. Die in Marburg durchkommenden Züge befördern Verwundete und Gefangene, Deutsche, Franzosen und Belgier. Schreckensbilder und doch auch andere Bilder, die der Komik nicht entbehren.

Im Allgemeinen läßt sich am Monatsschlusse sagen, daß der Ernst der Zeit inzwischen einer ruhigen Zuversicht Platz gemacht hat. Der Güterverkehr hat wieder eingesetzt und die Hüttenwerke haben – wenn auch vorerst mir in beschränktem Umfangs – den Betrieb aufs neue aufgenommen und sie tragen solcherweise zur Verhütung eines Notstandes bei. Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Auch die Personenbeförderung ist wieder eine geregeltere geworden, es verkehren wieder je vier Züge und die Dillenburger Züge laufen wieder fahrplanmäßig hier ein und aus. Die Siegesbotschaften tragen [Sp. 241] das ihrige zur Hebung der allgemeinen Stimmung bei und hoffnungsfreudig sehen wir der Zukunft entgegen.

Freilich, es werden für Manche Tage der Trauer kommen, beim Erscheinen dieser Zeilen ist vielleicht schon trübe Kunde in dieses oder jenes Haus gedrungen, aber grade in den Tagen des Schmerzes und der Not wollen wir uns Alle, die wir deutschen Blutes sind, brüderlich die Hand reichen und in den, felsenfesten Vertrauen auf unser tapferes Heer den Blick geradeaus richten über Wirrsal und Not hinweg in eine bessere Zukunft. Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.


Personen: Spieß, Karl
Orte: Biedenkopf · Marburg
Sachbegriffe: Kriegsversicherung · Gefallene · Beamte · Behörden · Landsturm · Uniformen · Truppentransporte · Franzosen · Belgier · Eisenhütten · Eisenbahn · Zugverkehr
Empfohlene Zitierweise: „Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916, Abschnitt 9: Kriegsversicherung, Landsturm, allgemeine Zuversicht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/1-9> (aufgerufen am 19.04.2024)