Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916

Abschnitt 12: Abschnitt 12

[Sp. 246-247]
Vorläufig ist das Bild im Kreisstädtchen nichts weniger als kriegerisch. Nein, ruhiger ist’s als sonst. Das junge Volk fehlt und das macht sich fühlbar überall. Das Vereinsleben stockt, Kegel- und Gesangsübungsstunden sind eingestellt und selbst für Kartoffelbratereien, unter deren Zeichen sonst der September zu stehen pflegt, ist nirgends Stimmung. Desto fleißiger sind das Rote Kreuz und der Frauenverein an der der Liebesarbeit. Aus der Stadt selbst und aus den Dörfern des Kreises fließen Liebesgaben den Sammelstellen in einer Menge zu, daß es schier rührend ist. Bares Geld und Lebensmittel, Wäsche und Bedarfsartikel aller Art. Täglich treffen Wagenladungen ein, deren Inhalt sorgfältig gesichtet und dann seinem Bestimmungsort zugeführt wird. Im hause des Kreisarztes werden Leinenzeug, Pantoffeln, Bürsten, Briefpapier und Wollsachen abgeladen und von den dazu berufenen Damen geordnet und geprüft. Im städtischen Haus im Bachgrund werden Butter, Eier, Fleischwaren, Obst und Konserven, Kartoffeln, Zigarren, Mehl und Zucker, alles kistenweise, in Empfang genommen und verbucht. Die Gaben gehen nach Cassel und Marburg, zum Teil werden sie für das Lazarett auf Wilhelmshütte bestimmt und zurückgestellt.

Im Meier’schen Saale versammeln [Sp. 247] sich dreimal wöchentlich nachmittags die Damen des Frauenvereins zur Nähstunde. Da wird Leinen für unser Lazarett verarbeitet, damit es beim Eintreffen der ersten Verwundeten an nichts fehle, und Näharbeiten aller Art für die im Felde stehenden Krieger verfertigt. Mit sichtlicher Liebe wird die Arbeit vollführt und auch die Strümpfe und Stauchen, die an jedem Montagabend die Frauen aller Stände im Rathaussaale stricken, legen Zeugnis für die Opferfreude ab, die sie Alle beseelt. Der Kreisarzt stellt sich nach wir vor in den Dienst des Vaterlandes, indem er die Frauen und Jungfrauen der Stadt in abendlichen Unterrichtsstunden mit der Kunst der Wundenbehandlung und der Verbände vertraut macht und sich die Ausbildung der von ihm geschaffenen Sanitätskolonne angelegen sein läßt. Welche Bedeutung grade dieser Truppe beizumessen ist, wird sich im Betriebe des Lazaretts, das unser Rotes kreuz einrichten will, herausstellen.

Inzwischen vernehmen wir die Botschaft von weiteren ruhmreichen Siegen im Osten und Westen und jedesmal, wenn die Glocken läuten und die Böller dröhnen, weiß die ganze Umgegend, daß Großes sich ereignet hat. A, Abend des 8. September durchfahren zehn verwundete Sedankämpfer unsere Station, sie berichten, so weit es der Aufenthalt zuläßt, von ihren Heldentaten, von den Bitternissen und Entbehrungen des Feldzug und von der Ernte, die der Schnitter Tod auf den Schlachtfeldern hält.


Empfohlene Zitierweise: „Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916, Abschnitt 12: Abschnitt 12“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/1-12> (aufgerufen am 02.05.2024)