Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 24: Ausbau der Gräben und Hindernisse

[262-263]
9.5.15. Der Tag verläuft für mich ruhig wie die vorhergehenden. Ich ruhe mich vor der Tür meines idyllischen Gartenhäuschens aus und freue mich über die vielen lieben, herzlichen Briefe und über die Paketchen, die mir von allen Seiten zugehen.
Als ich abends meine Leute zum Ausrücken antreten lasse, erlebe ich zum ersten Male die Beschießung eines ganzen Flugzeuggeschwaders. Wir haben unheimlich viel Granaten und Schrapnells darauf abgegeben, aber die verfehlten alle ihr Ziel, sie werden ihren Plan wohl erreicht haben.
Ich habe von V. aus einen Zug Infanterie mit ihren spanischen Reitern wieder vor bis an den Schützengraben geführt. Der Offizierstellvertreter konnte ein zweites Mal über freies Feld seinen Zug nicht vorführen, da die Nacht mondhell und sternenklar war. Man konnte bis auf 60 m vor [S. 263] unserer Stellung alles deutlich sehen. So war es für meine Leute und mich unmöglich, unsere Arbeiten zu beginnen, um ½ 1 Uhr erhielt ich von Leutnant Sch. den Befehl, die Mannschaften wieder heimzuführen.
Ich bin allein vorweg heim, der 1 ½ stündige Weg durch den stockfinsteren Laufgraben im Wald, wo man dauernd an die Wände anrannte und nur tastend vorwärtskam und durch das Stück von ... an der Ferme vorbei nach A. war unheimlich und doch schön. Selten hat man so Gelegenheit, den herrlichen, weiten Sternenhimmel mit seinen Sternschnuppen zu bewundern, wie in diesen Kriegsnächten.

Vom 10. bis 12. Mai [1915] mußte ich den Bau von Hindernissen fortsetzen. Die schönen Tage habe ich verschlafen und die sternenklaren, doch mondlosen Nächte lag ich mit meinen Leuten vor der Stellung.
Unsere Infanterie hatte den Befehl erhalten, 5 Tage und Nächte nicht einen einzigen Schuß abzugeben. Man kann sich nun die Unruhe unserer Gegner vorstellen. — Wir mußten Pfähle einhauen, sowie sie aber nur etwas bemerkten, schossen sie mit ihren eingestellten Gewehren in unser Hindernis hinein. Am rechten Eck des Waldes feuerten sie sogar mit dem Maschinengewehr eine kurze Weile auf uns und schossen Granaten herüber. Einen Schwerverwundeten bekam ich dabei in meiner Gruppe.

Wir haben fleißig weitergearbeitet, doch mußten wir uns ab und zu in die bombensicheren, minierten und sehr geräumigen Unterstände der Infanterie, die 7 m unter der Erde liegen, zurückziehen. Dann haben wir uns in die einfachen Bretterbetten der Infanterie, von denen immer zwei übereinanderstehen, zum Ausruhen hingelegt, nur nach kurzer Pause die Arbeit wieder zu beginnen.

Am 13. Mai [1915] wartete nachts meiner eine schwere Aufgabe: ich sollte mit zwei Leuten eine Leuchtfackelblende, die 2 Zentner wiegt, nachts in unsere Stellung einbauen. Es war schon deshalb eine unangenehme Aufgabe, weil ein Infanterieunteroffizier gerade von dieser von uns vorgetriebenen Sappe kurz vor unserm Kommen drei Gewehrgranaten zum feindlichen Graben herübersandte. Sie antworteten gleich mit drei Granaten, von denen eine dicht neben uns einen Unterstand zertrümmerte. Wir haben trotzdem die Arbeit fortgesetzt und ohne Störung und völlig unbemerkt zu Ende geführt.
Unser Heimweg ist immer fröhlicher als unser Marsch an unser gefahrvolles Werk. Unser B. erzählte uns von seiner Radfahrt von München nach Güstrow in Mecklenburg zu seinen Eltern, die er am 1. Mobilmachungstag wegen des Einstellens des Eisenbahnverkehrs antrat. Über seine humorvolle Erzählung haben wir viel lachen müssen. Bis Naumburg a. S. ist er 152 mal angehalten oder verhaftet gewesen. Betrübt war er, wenn sie ihm die Luftschläuche herunterrissen, um russisches Gold darin zu finden, gefreut hat er sich, wenn sie mit geladenem Revolver ihm gegenübersaßen und auf den Gendarm warteten, während er aus seinem gefüllten Rucksack ein Schlemmerfrühstück vor ihnen ausbreitete.


Personen: Fischmann, Wilhelm
Orte: München · Güstrow · Mecklenburg · Naumburg (Saale)
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe · Flugzeuge · Fliegerangriffe · Granaten · Schrapnells · Infanterie · Spanische Reiter · Schützengräben · Offizierstellvertreter · Leutnante · Laufgräben · Maschinengewehre · Leuchtfackelblenden · Unteroffiziere · Sappen · Revolver · Spionenfurcht
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 24: Ausbau der Gräben und Hindernisse“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/164-24> (aufgerufen am 27.04.2024)