Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

The Topography of National Socialism in Hessen

Marburg, Landesheil- und Pflegeanstalt

Marburg, Gemeinde Marburg, Landkreis Marburg-Biedenkopf
Cappeler Straße 98
Classification | Utilization | Indices | References | Illustrations | Citation
Classification

Category:

Verfolgung

Sub Category:

Euthanasie 

Utilization

Object Description:

Die Anstaltsanlage wurde im Pavillonstil konzipiert. Ab dem 15.8.1872 entstanden auf dem Gelände der späteren Landesheil- und Pflegeanstalt zehn Stationshäuser, die symmetrisch angeordnet waren und Platz für etwa 300 Patientinnen und Patienten boten. Des Weiteren errichtete man ein Verwaltungsgebäude, ein Festsaal mit Küche, mehrere Einzelhäuser, mehrere Versorgungsgebäude und ein Waschhaus. Die Anstalt verfügte ab 1876 über einen eigenen Gutshof. Die verbindende Parkanlage war im Kolonialstil angelegt und verband das Gelände mit dem im Osten angrenzenden Buchenwald. Ab den 1920er Jahren erfolgten umfangreiche Umbau- und Sanierungsarbeiten, dessen Ergebnis 1937 acht Männer- und sieben Frauenhäuser waren, die jeweils im Souterrain Werkstätten für Beschäftigungstherapie aufwiesen und von Gartenanlagen umgeben waren. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche zur Versorgung der Einrichtung vervierfachte sich zwischen 1933 und 1937.

Notes:

Die Landesheil- und Pflegeanstalt Marburg verfügte in den 1930er Jahren über 600 Betten. Die Belegungskapazitäten wurden Mitte des Jahrzehnts ausgereizt. 1934 waren 582 Betten belegt, in 1935 waren 591 Betten belegt und 1936 waren 587 Betten belegt. Frauen- und Männerseite der Einrichtung wurden von jeweils zwei Ärzten und dem ärztlichen Direktor versorgt.

Anfang 1934 erfolgten die ersten Zwangssterilisationen an Anstaltspatientinnen und Anstaltspatienten. Die Eingriffe wurden bei den Frauen in der Marburger Universitäts-Frauenklinik und bei den Männern in der Marburger Chirurgischen Universitätsklinik vorgenommen.

Auswirkungen der Sparmaßnahmen des Regierungsbezirks lassen sich bereits dem Jahresbericht 1936 ablesen. Den abnehmenden allgemeinen Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten, die Zunahme an Tuberkuloseerkrankungen und die Erhöhung der allgemeinen Sterblichkeitsrate kann man zum Teil auch als Resultat des gravierenden Ernährungsmangels werten.

Sterbefälle und Sterberate in der LHA Marburg zwischen 1935 und 1942, zitiert nach: Lilienthal, Die Opfer der NS-„Euthanasie“-Verbrechen:

JahrSterbefälleSterberate bezogen auf
Durchschnittsbelegung
1935757,1 %
1936767,7 %
19371019,3 %
1938877,6 %
193911210,2 %
194010911,0 %
1941--
194210017,8 %

Während der Phase des zentralen Tötungen wurden Anstaltsinsassinnen und Anstaltsinsassen zwischen Januar und August 1941 u.a. in Hadamar systematisch ermordet. Die am 1.8.1940 an das Reichsministerium des Inneren geschickten mehrere hunderte Meldebögen umfassten auch Personendaten jüdischer Patientinnen und Patienten. Wie in vielen anderen Einrichtungen gehörten sie zu den ersten Opfern der zentralen Mordphase. Am 25.9.1940 wurden acht jüdische Patientinnen und Patienten erst nach Gießen in eine Sammelanstalt und von dort mit weiteren 30 aus Haina und 13 aus Merxhausen in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel transportiert und ermordet.

Nach der Inbetriebnahme Hadamars im Rahmen der „Aktion T4“, erfolgte am 10.4.1941 die Anweisung an den Bezirksverband Hessen die Anordnung, dass zeitnah 600 Patientinnen und Patienten aus den Anstalten Marburg, Haina und Merxhausen in die „Zwischenanstalten“ Eichberg, Herborn, Idstein (Kalmenhof), Scheuern und Weilmünster verlegt werden sollten. In sechs Transporten fanden 340 Frauen und Männer, darunter auch Kinder, den Weg in eine dieser „Zwischenanstalten“. Nach einem üblicherweise mehrwöchigen Aufenthalt erfolgte der Weitertransport von mindestens 210 dieser Personen nach Hadamar, wo sie in der Regel am gleichen Tag ermordet wurden. Weitere 24 Personen verstarben noch in den „Zwischenanstalten“. 43 Patientinnen und Patienten wurden durch die Marburger Anstaltsleitung aufgrund des Selektionskriteriums der Arbeitsfähigkeit zurückgestellt und waren gezwungen den Anstaltsbetrieb durch ihre Mitarbeit zu gewährleisten.

Noch nach dem Ende der „Aktion T4“ am 24.8.1941 wurden am 25.8.1941 41 Frauen nach Merxhausen und am 1.9.1941 35 Männer nach Haina verlegt. Grund dafür war die Einrichtung des Wehrmachtlazaretts auf dem Gelände der LHA. Hierfür wurden1941 insgesamt 385 Betten zur Verfügung gestellt. Im Folgejahr waren es bereits 445 und in 1944 wuchs die Kapazität auf 540 Betten an.

Für die Zeit des dezentralisierten Tötens finden sich keine klaren Hinweise auf direkte Tötungen in Marburg, wie sie bspw. in Weilmünster zu finden sind. Die im Verlauf stark ansteigende Sterblichkeitsrate ist allerdings als ein Hinweis auf die katastrophalen Versorgungs- und Hygienezustände zu deuten.

Zwischen November 1940 und Mai 1942 wurden in zwei Stationshäusern und weiteren zwischen diesen Gebäuden errichteten Baracken etwa 500 meist französischen Zwangsarbeitern des Rüstungsbetriebs Dynamit AG in Stadtallendorf untergebracht. Der Regionalverband erhielt für die Unterbringung des Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos 401b große Mieteinnahmen. Die Lebensbedingungen der Patientinnen und Patienten verschlechterte sich dadurch enorm.

In Marburg waren auch vermeintlich psychisch kranke Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion untergebracht. Bis Mai 1943 erfolgte die Abschiebung derer, die als nicht mehr therapierbar eingestuft angesehen wurden. Fortan allerdings erfolgte die Verlegung in andere Einrichtungen wie bspw. Eichberg und Gießen oder die Verbringung in Sonderlager des Reichssicherheitshauptamtes. Am 14.6.1943 erfolgte der Transport von zehn Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern nach Hadamar. Vier von ihnen wurden noch am selben Tag ermordet, sechs wurden aus unbekannten Gründen am 26.6.1943 vermutlich in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz weiterverlegt und dort ermordet. Eine weitere polnische Zwangsarbeiterin wurde am 4.9.1944 vermutlich ebenfalls in Hartheim ermordet. Am 29.9.1944 wurden fünf weitere Zwangsarbeiter mit der Bahn nach Hadamar transportiert und ermordet.

Utilized From (First Mention):

1933

Utilized Until (Last Mention):

1945

Other Utilizations of this Object:

Indices

Places:

Marburg

Keywords:

Euthanasie · Gesundheitswesen · Verfolgung

References

Bibliography:

Weblinks:

Historischer Pfad: Geschichte der psychiatrischen Klinik Marburg (7.5.2023)

Illustrations

Illustrations:

Citation
„Marburg, Landesheil- und Pflegeanstalt“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/nstopo/id/90> (Stand: 18.2.2024)