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Georg-Büchner-Preis an Albert Drach, 15. Oktober 1988

Den mit 30.000 DM dotierten Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhält in diesem Jahr der österreichische Schriftsteller Albert Drach (1902–1995).1

Die Akademie verleiht den Preis an Drach „für sein von der Öffentlichkeit bislang kaum wahrgenommenes umfängliches Lebenswerk. Sie ehrt damit einen ebenso mutigen wie sensiblen Zeitzeugen, der den Wahnsinn unseres Jahrhunderts ohne Ressentiments in dichterischer Eindringlichkeit zum Ausdruck bringt.“2 Der jüdische Schriftsteller musste 1938 aus Österreich nach Frankreich fliehen, wo er der Widerstandsbewegung beitrat. Seine „sensible Zeitzeugenschaft“ verarbeitete Albert Drach in dem autobiografischen Bericht „Unsentimentale Reise“.3 Die meisten seiner Werke waren jedoch nicht sonderlich erfolgreich, weshalb die Auszeichnung Drachs auf einiges Unverständnis stößt. In einem Feuilletonartikel der F.A.Z. nennt Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) nicht etwa eine nachträgliche Würdigung oder eine „Wiedergutmachung“ als Grund für Albert Drachs Auszeichnung. Stattdessen vermutet er einen „Coup“ des neu in der Akademie aufgenommenen Michael Krüger hinter der Nominierung. Krüger ist leitender Verleger des Carl Hanser Verlags, der kürzlich eine neue Ausgabe der „Unsentimentalen Reise“ von Drach auf den Markt gebracht hat. Eine Auszeichnung Albert Drachs sei für den Verlag also enorm verkaufsfördernd. Zudem sei Krüger bereits aus der Jury des Aspekte-Literaturpreises wegen „der offensichtlichen Interessenverquickung [...] hinauskomplimentiert“ worden.4

Nachdem Eklat um den Büchner-Preisträger des vergangenen Jahres, Erich Fried, ist die Akademie für Sprache und Dichtung nun erneut öffentlicher Kritik ausgesetzt. Neben der fragwürdigen Wahl des Preisträgers muss sie sich in diesem Jahr außerdem mit einer Konkurrenzveranstaltung konfrontiert sehen, dem „alternativen Büchner-Preis“ des Darmstädter Mäzens und Kunstförderers Walter Steinmetz (1938–2000).5 Mit dem „alternativen Büchner-Preis“ ausgezeichnet wird Walter Jens, der ursprünglich für den Georg-Büchner-Preis vorgeschlagen wurde, aber bei der Abstimmung des Gremiums keine Mehrheit fand. Den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay, den die Akademie im stattdessen verleihen wollte, lehnte Jens ab.6 Mit der Konkurrenzveranstaltung des „alternativen Büchner-Preis“ begeht Walter Steinmetz einen grundsätzlichen Angriff auf die alteingesessene Institution der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. „Der ‚Alternative Büchnerpreis‘, heißt es in einem von Steinmetz dazu verfassten Memorandum, sei ‚mehr als Dank für politisches Handeln mit der Kraft der Sprache, denn als Auszeichnung für schöne Worte‘ gedacht. In seinen Genuss kommen sollen Autorinnen und Autoren, die sich in literarischen oder wissenschaftlichen Werken mit dem Alltag der Bundesrepublik auseinandersetzen, die mit wachen Augen die politischen Institutionen der Demokratie sowie die Repräsentanten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gruppen beobachten und mit den Mitteln der Sprache Macht und Herrschaft enthüllen.“7 Die politische Bedeutung des Namensgebers Georg Büchner soll also explizit in den Vordergrund gerückt werden.

Der Georg-Büchner-Preis wurde 1921 vom Volksstaat Hessen und der Stadt Darmstadt gestiftet, um Dichter*innen, Künstler*innen, Schauspieler*innen und Sänger*innen aus Hessen auszuzeichnen. Seit 1953 fungiert der Stiftungspreis als Literaturpreis, der durch die in Darmstadt ansässige Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung an „Schrift­stellerinnen und Schrift­steller, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervor­treten und die an der Gestaltung des gegen­wärtigen deutschen Kultur­lebens wesentlichen Anteil haben“ vergeben wird.8
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1988, S. 49: Albert Drach erhält heute den Georg-Büchner-Preis.
  2. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Albert Drach: Urkundentext.
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.5.1988, S. 27: Lauter Unglücke.
  4. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.5.1988, S. 27: Lauter Unglücke.
  5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.1988, S. 27: Büchner, alternativ.
  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.5.1988, S. 27: Lauter Unglücke.
  7. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.1988, S. 40: „Alternativer Büchnerpreis“ – Kampfansage an die Etablierten?
  8. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis.
Records
Additional Information
Recommended Citation
„Georg-Büchner-Preis an Albert Drach, 15. Oktober 1988“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/5564> (Stand: 15.10.2021)
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