Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916

Abschnitt 8: Überwindung und Gefangennahme feindlicher Soldaten

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Heute aber blühte uns solcher Kampf! Im zerstampften Wald, aber in frischer Luft, unter freiem Himmel. Sterne blinkten gerade auf. Die Schüsse der Abteilung Hesse schallten herüber. Wir waren dicht am Feind.

Wie mir da zumute war? Ein Bild taucht vor mir auf aus der biblischen Geschichte. Moses steht auf dem Berge Nebo. Sein Ziel hat er nicht erreicht. Doch vor dem Tode läßt ihn Gott einen Blick in das Land seiner Sehnsucht tun. Welche Gefühle bewegten den Glaubenskämpfer? Kann man sie ergründen, ausschöpfen?

So tief bewegt, erregt, dankbar, so hochgeschwellt und froh wie diesem Kämpfer war mir zumute, jetzt, wo es vielleicht auch zum Sterben ging. Es war dann wenigstens ein freies, offenes, ehrliches Sterben. In ehrlichem Männerkampf! Ein Gefühl der Ruhe, der stolzen Freude, eine zielsichere, von jedem Haß freie Kampfes- und Soldatenfreude hatte mich erfaßt.

Kurz vor dem Graben ging's im „Marsch Marsch!" auf die feindliche Stellung. Wie verdutzt sahen die Feinde um sich! Sie hatten nicht nach hinten gehört, hatten wohl Verstärkung oder Ablösung erwartet statt der verhaßten „Boches". Ihre Gewehre lagen auf der Brustwehr nach [S. 12] Osten gerichtet. Ehe sie sie faßten, hatten sie starke deutsche Soldatenfäuste gefaßt, entwaffnet. Nur ein Offizier drehte sich um und schoß Vizefeldwebel Löfgen zwei Pistolenschüsse in den Oberschenkel, ein französischer Soldat schoß dem Ersatzreservisten Lüdgert eine Kugel durch den Kopf, da traf beide schon die Kugel des Kameraden. Nur an wenig Stellen kam es zum Handgemenge. Der Feind war erschreckt, aus seiner Fassung gebracht. „Pardon, Messieurs!" riefen sie und ließen sich, abgeschnallt und entwaffnet, zu Gefangenen machen.

Wie erstaunten wir über die Menge der stets sich vermehrenden Feinde! An 25 - 30 hatten wir gedacht. Nun waren es schließlich 239. Der ganze Waldrand, fast bis an die Straße, war noch besetzt gewesen. Durch die brodelnde Nebelschicht am Sumpfufer der Somme hatte Gott „eine Mauer um uns gebreitet", wie einst durch seine Schneedecke um die Hütte des betenden Mütterleins.


Persons: Hofsommer, Ernst · Löfgen, Vizefeldwebel · Lüdgert, Reservist
Places: Somme
Keywords: Sommeschlacht · Kriegsgefangene · Franzosen · Nahkampf
Recommended Citation: „Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916, Abschnitt 8: Überwindung und Gefangennahme feindlicher Soldaten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/87-8> (aufgerufen am 27.04.2024)