Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916

Abschnitt 6: Zerstörungen und Verluste beim Vorgehen der Einheit

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Nun los denn! Biaches war uns Kompaß, Leuchte und Führer zugleich. Der Nebel barg uns. Wir bogen an der Nordwestecke nach Süden um. Langsam und leise schlichen wir im Gänsemarsch. Das Herz klopfte. Wir stießen auf keinen wehrbaren Feind. Aber tote Feinde und wimmernde Verwundete lagen da. Meist Tote, hier am Westrand entlang führte die zweite Linie der Franzosen, am Ostrand die erste. Bei der zweiten Linie hatte unsere schwere Artillerie ganze, grausige Arbeit getan. Überall tote, zerfetzte Menschen mit fahlen, bleichen Gesichtern — beim Aufblitzen einer Leuchtpatrone ganz grausig und wie stumme Ankläger gegen die Erreger dieser Katastrophe anzusehen. Sie alle einer Mutter Kind, des Mitleids würdig und der Achtung, für ihr Vaterland gefallen! Ein russischer Offizier lag tot neben einem französischen — Bundesgenossen! Der Russe sollte wohl in Rußland Zeuge für Frankreichs Kraftanspannung und den glänzenden Durchbruch sein, sollte seine Leute zu ähnlichem anspornen, und nun lag er da auf französischer Erde neben seinem Waffenkameraden.

Die Bäume des Waldes waren keine Bäume mehr, sondern Fetzen, Stümpfe, Invaliden der in Mitleidenschaft gezogenen friedfertigen Natur. Überall stolperte man über Granattrichter. Man fiel über Baumstümpfe, tastete sich weiter, hier lag verlassene Munition, Minen und Granaten. Einige französische Unterstände waren da, in Eile mit Fallholz hergerichtet. Sie waren meist eingeschossen. Aus einem holten Leute drei Franzosen und nahmen sie gefangen. Wir kamen im Dunkel und bei dem [S. 9] zerschossenen Gelände schwer vorwärts. Der Schweiß floß. Man nahm den Helm ab. Das Herz pochte. Als wir mit der Spitze den Südrand erreicht, gebot ich: „Halt! Linksum!" Mit der Front nach Osten standen wir im Rücken des Feindes. Der Sturm kann beginnen. Ich befahl: „Geschossen wird nicht. Seitengewehr pflanzt auf! Widerstand mit dem Bajonett brechen. Ohne Hurraruf in den feindlichen Graben einbrechen!"

Leutnant Hesse rückt, wie befohlen, rechts heraus und drang bis in die Maisonnette Ferme selbst vor, konnte sich jedoch dort nicht halten, weil unsere 21 er noch in die Gebäude schossen. Er kam in Nahkampf mit einer überlegenen Abteilung Franzosen. Auf freiem Felde nahm er den Kampf auf und hielt uns die Flanke frei. Er hatte bald sechs Tote und zwei Verwundete, von denen der junge Unteroffizier und Offiziersaspirant Braun auch noch gestorben ist.

Wir gingen trotz aller Vorsicht knackend und ziemlich laut aus den Gegner los. Nur ein etwa 80-100 m breiter Wald trennte uns von ihm.


Persons: Hofsommer, Ernst · Hesse, Leutnant · Braun, Ofiziersaspirant
Places: Biaches
Keywords: Sommeschlacht · Gefallene · Leichen · Verwundete · Franzosen · Artillerie · Leuchtpatronen · Offiziere · Russen · Granattrichter · Kriegsgefangene · Bajonette · Nahkampf · Leutnante
Recommended Citation: „Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916, Abschnitt 6: Zerstörungen und Verluste beim Vorgehen der Einheit“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/87-6> (aufgerufen am 20.04.2024)