Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Harry Heußner, Das Landsturm-Infanteriebataillon Hersfeld in Belgien, 1914-1918

Abschnitt 3: Warten auf den Einrückbefehl

[I, S. 90-91] Nun kamen die Tage des Wartens, erfüllt von dem Ernst der soldatischen Hebungen und dem Jubel über die Erfolge unserer Heere in West und Ost. Es wurden wieder, wie einstmals in der aktiven Dienstzeit, Griffe gekloppt und geschlossen exerziert. An den Vormittagen ging es hinaus ins Gelände zu kleinen Felddienstübungen. Unter Vorantritt der Trommler und Pfeifer zogen wir zurück. Auch der Gesang wurde gepflegt, und es kann gesagt werden: sie sangen gut, unsere Landstürmer, die vielfach in den Heimatorten sich in ihren Gesangvereinen eifrig betätigt hatten. Begeisterung auslösende vaterländische Lieder, wie „O Deutschland hoch in Ehren" und Volkslieder mit ihrem tiefen Gemütsinhalt, wie „Es wollte sich einschleichen ein kühles Lüftelein", um einige nur zu nennen, weckten freudige Stimmung und ließen die Bevölkerung aufhorchen.

Der Erfindungsgabe der Kompanieführer gelang es, den Dienst einigermaßen abwechslungsreich zu gestalten. Sie waren hierbei fast ganz auf sich selbst angewiesen, denn den Bataillonskommandeur hinderte ein schweres Ischiasleiden erheblich am Gehen, ein Pferd konnte er überhaupt nicht besteigen. Die im militärischen Leben sonst so beliebten Besichtigungen fielen fast ganz aus. Die Kompanieführer wurden nach einigen Wochen beritten gemacht. Die ersten Reitstunden gab uns im Hof der Kriegsschule der Gymnasialpedell Herwig, ein alter Bamberger Ulan1, mit dem Erfolg, daß wir uns beim Ausrücken des Bataillons wenigstens auf dem Pferde fortbewegen konnten. Die Fertigkeit ist dann später noch ganz erheblich gesteigert worden. Als 1916 württembergische Ulanen unsere Maschinengewehrkompanien einrichteten, sind wir in den Reitstunden noch ziemlich geschliffen worden, wir lernten in ihnen über Gräben zu springen und Hindernisse zu nehmen. Mit Freude denke ich an die vielen schönen Stunden, in denen mein Pferd mich durch die üppige flandrische Landschaft und über die waldigen Hügel Lothringens getragen hat, zurück.

Mit Spannung warteten wir täglich auf den Befehl zum Ausrücken. Welche Verwendung werden wir finden? — Wo kommen wir hin? — Nach dem Westen, nach dem Osten? — Dies war die große Frage, welche alle Gemüter bewegte. Aber der August und September vergingen, die ersten Tage des Oktober kamen heran, ohne daß wir einen höheren Vorgesetzten hätten zu sehen bekommen. Endlich, am 5. Oktober, fand eine Besichtigung des Bataillons durch General von Haugwitz mit einer Gefechtsübung am Wilhelmshof statt, welcher der Befehl zur Verwendung in Flandern folgte. Wenn auch nur Etappendienst vorgesehen war, so konnte diesem unser seitheriger Kommandeur wegen seines schweren Ischiasleidens doch nicht gewachsen sein, er wurde ersetzt durch Oberst von Griesheim, der früher das 39. Infanterie-Regiment in Düsseldorf geführt hatte. Er griff mit fester Hand ein, und das war gut so! Mit Liebe und Verehrung denken wir noch alle an diesen untadelhaften altpreußischen Offizier zurück. Sein Wesen war Güte und Festigkeit. Seiner streng rechtlichen Denkungsart [S. 91] kam niemand seine Hochachtung versage, obwohl uns damals seine Anordnungen in manchen Fällen etwas kleinlich erschienen. Oberst von Griesheim ist dann drei Jahre lang unser Bataillons- und Regimentsführer, später auch unser Brigadeführer, gewesen. Seine beiden Söhne sind auf dem Felde der Ehre gefallen.


  1. Kavalleriegattung.

Persons: Griesheim, Oberst von · Haugwitz, Alfred von · Herwig, Gymnasialpedell · Heußner, Harry
Places: Bamberg · Düsseldorf · Hersfeld
Keywords: 39. Infanterie-Regiment · Manöver · Ischias · Landsturm-Infanteriebataillon · Reitunterricht
Recommended Citation: „Harry Heußner, Das Landsturm-Infanteriebataillon Hersfeld in Belgien, 1914-1918, Abschnitt 3: Warten auf den Einrückbefehl“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/44-3> (aufgerufen am 28.03.2024)