Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Carl Hoos, Schulchronik von Niederaula

Abschnitt 3: Kriegsbegeisterung in ganz Deutschland, Augusterlebnis

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Die Tage der ersten Kriegszeit haben gezeigt, daß unter dem englisch gestutztem Schnurrbart und im franz. womöglich geschlitzten Rock doch noch treudeutsche Herzen schlagen. Das Äußerliche fällt ab, und der innere, echte Kern kommt zum Vorschein. Wir wollen diesen Krieg betrachten, als ein Mittel weißer Gotteserziehung, der uns herausreißen kann aus allem Seichten und Faulen und zurückführen zur Religiosität, zum Ewigen und Vollkommenen. Furchtbar wüst ist die Zeit und doch auch unsagbar groß und erhaben.

Wir hoffen mit Gott, daß unserer gerechten Sache der Sieg geschenkt wird nach dem Wort des Dichters Nikolei:

„ Halt aus mein Volk und lass den Mut nicht sinken,
zu neuen Opfern sei noch stets bereit.
Und will der Feind noch mehr von unserem Blute trinken,
am Ende siegt doch die Gerechtigkeit.“

Unser Volk steht gegen eine Welt in Waffen. In den vergangenen Tagen als es Kriegserklärungen nur so regnete, hat unser Volk seine schwersten und doch auch seine schönsten Tage gesehen.

Alles Kleinliche und Trennende wurde vergessen, als unser unvergleichlicher Kaiser sprach: „Ich kenne keine Parteien mehr.“ Einmütig griff das Volk zur Wehr gegen Anmaßung, Falschheit und Tücke. Galt es doch die edelsten Güter zu verteidigen. So ist es keine Phrase, kein Überschwang der Werte, diesen Krieg einen heiligen zu nennen.

Groß und heilig, wie gesehen war auch die Begeisterung, die unser Volk durchlebte. Wir alle fühlen es, wir stehen in einer großen, in einer herrlichen und heiligen Zeit. Wir hören den Sturm, wir scheuen den Brand, der die Welt durchfegt. Und wir, die wir zurück geblieben sind, wollen unseren Schülern Kopf und Herz für die gewaltige Gegenwart öffnen, wollen ihnen zeigen, wie Gott in seiner Gnade so wunderbar seine Hand über uns gehalten hat. Wir schauen unseren deutschen Krieger an! Es leuchtet aus ihren Augen: Sie erleben Gott. Sie haben es erfahren: „Du bist nichts, wenn er dich nicht hält.“ Am 2. August wurde hier ein ergreifender Kriegsgottesdienst gehalten, nachdem am 1.August der Befehl seiner Majestät zur Mobilmachung des Heeres und der Kriegsflotte erfolgt und der 2. Aug. als erster Mobi¬machungstag festgesetzt war. Der Gottesdienst wurde mit der Feier des hl. Abendsmahles verbunden. Da sah man die Gatten miteinander, die Eltern mit ihren Söhnen zum Tische des Herrn schreiten. Wohl selten ist in unserem lieben Gotteshause inbrünstiger gebetet worden, als an jenem denkwürdigen 2. August.

Jeder fühlte die Schwere der Schicksalsstunde, aber jeder fühlte auch die Höhe seines Gottes, der da spricht: „Ich will dich nicht verlassen, noch von dir weichen. Rufe mich an in der Not, ich will dich erretten.“ Groß war die Not, größer noch das Vertrauen auf Gott.

Der Krieg war uns aufgedrungen, unsere Sache gerecht. In den nächsten Tagen galt es Abschied nehmen. Da sah man manche Träne, viel stummes, unterdrücktes Weh, die bange Frage: „Ob wir uns Wiedersehen?“ Aber in den Augen unserer jungen Krieger leuchtete frohe Siegeszuversicht. „Lieb Vaterland, magst ruhig sein,“ so klang es und sang es.

Eine gleiche Begeisterung, wie sie in den ersten Augusttagen Alldeutschland durchlebte, hat unser Volk wohl nie gesehen, auch nicht vor 100 Jahren. Wohl war sie in jener Zeit groß, besonders in Preußen, aber viele standen damals noch abseits, wie sie in dem großen Korsen das Heil der Welt erblickten.


Persons: Hoos, Carl · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser
Places: Niederaula
Keywords: Kriegsbegeisterung · Kriegsgottesdienste · Mobilmachung · Augusterlebnis
Recommended Citation: „Carl Hoos, Schulchronik von Niederaula, Abschnitt 3: Kriegsbegeisterung in ganz Deutschland, Augusterlebnis“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/40-3> (aufgerufen am 26.04.2024)