Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Veidt, Als Divisionspfarrer im Argonnerwald, 1914-1917

Abschnitt 9: Weihnachten

[133-134]
Die Weihnachtszeit bedeutete für uns allerdings erhöhte Gefechtsbereitschaft. Kanonendonner läutete die Festtage ein. Schärfer als sonst spähten die Augen der Horchposten und Patrouillen durch die Nacht. Verkürzte Ruhezeiten, verstärkte Linien und Reservestellungen, das war das militärische Kennzeichen der Weihnachtstage. So waren äußerlich die Vorbedingungen für unsere Kriegsweihnachten nicht günstig. Und doch ist wohl keiner ganz ohne Weihnachtsfeier und Weihnachtsfreude geblieben. In den Reservestellungen und den Quartieren, wie in den Unterständen, Häusern und Scheunen, in den Lazaretten von Autry, Challerange, Olizy, Termes, Senuc und Grandpré haben die Unseren den Christbaum angezündet und ihre Weihnachtslieder gesungen. Es war doch ein Stück Gottesfrieden mitten im Krieg. wie er zum Beispiel besonders schön und sinnig in der Weihnachtsfeier zum Ausdruck kam, die unsere Kolonnen in La Croix-aux-Bois den dortigen Franzosenkindern veranstaltet haben. Wo Kirchen zur Verfügung standen, sahen die Weihnachtsgottesdienste fast aus wie in [S. 134] der Heimat. Nur die feldgrauen Männergemeinden und das Dröhnen der Geschütze erinnerten an den Krieg. Wie mit einem Zauberschlag waren größere und kleinere Chöre da, und jeder fragte sich erstaunt, wo mit einem Mal all die vielen Christbäumchen hergekommen waren. Es gibt in unserer Gegend wenig Tannen. Es gehörte der Spürsinn des Entdeckers dazu, sie zu finden. Aber selbst in den Gräben, hart vor dem Feind, haben unter der Erde an Tannenbäumchen oder Zweigen die Kerzen gebrannt; auch hier ist „Stille Nacht" und „O du fröhliche, o du selige Weihnachtszeit" gesungen worden.

Weihnachten 1914 haben wir sogar im Schnee feiern können. Es war einer der wenigen Wintertage, die wir in Frankreich erlebt haben. Wir empfanden das leuchtende Weiß der Schneelandschaft wie einen Gruß aus der Heimat und haben später noch oft von den schönen Weihnachtsgottesdiensten gesprochen, die wir im Schnee bei hellem Sonnenschein gehalten haben. Deutsche Soldaten haben auch in solchen Tagen die Hand am Schwert; aber ihr Weihnachtsfest lassen sie sich nicht nehmen. Wenn es dann dunkel wurde, rollte der Kanonendonner, und das Gewehrfeuer wollte nicht stille werden; über den Stellungen flatterten geisterhaft die Leuchtraketen und erhellten sekundenlang den Wasserspiegel der überschwemmten Aisneniederung. Aus dem Dunkel des Waldes herüber aber klang es „Stille Nacht, heilige Nacht".


Persons: Veidt, Karl
Places: Autry · Challerange · Frankreich · Grandpré · La Croix-aux-Bois · Olizy · Senuc · Termes
Keywords: Gefechte · Gottesdienste · Heimat · Raketen · Lieder · Spähtrupp · Schnee · Tannen · Weihnachten · Weihnachtsbäume · Winter · Fotografien
Recommended Citation: „Karl Veidt, Als Divisionspfarrer im Argonnerwald, 1914-1917, Abschnitt 9: Weihnachten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/35-9> (aufgerufen am 20.04.2024)