Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918

Abschnitt 2: Abtransport aus Warschau nach Osten

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Am anderen Morgen um 7 Uhr wurde die eiserne Tür geöffnet, und wir durften uns waschen, aber nur Hände und Gesicht, denn es musste alles sehr schnell gehen. Um ½ 8 Uhr gab es Teewasser und 1 Pfund Brod für den ganzen Tag (das Brot war ungeniessbar). Um 12 Uhr eine dünne Wassersuppe und abends um 6 Uhr wieder Teewasser. Zwei mal täglich durften wir uns 5 Minuten lang auf den Korridor bewegen. Unsere Einrichtung in der Zelle bestand aus 16 Hängebetten, 2 alten Tischen und 6 Schemel, und einer Bedürfnisanstalt. Aus Zeitvertreib fertigten wir uns aus Brod ein Kegelspiel und spielten damit. Durch die Güte eines unserer Wächter, welchen ich kannte, da er gerade neben unserer Fabrik wohnte, wurde nun meine Schwägerin Frau Schwab in Kenntnis gesetzt, wo wir uns befanden. Nun hatten wir es ja gut, wir bekamen alles was wir wollten. [S. 3]

Wir erhielten morgens unseren Kaffee, Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Abendessen, sowie verschiedene andere Sachen. Es dauerte nun so 8 Tage fort bis mein Schwager und dessen Bruder eines Tages erlöst und zum Abtransport nach Wiatka abgeholt wurden; nun blieb ich allein zurück. Mit meiner Schwägerin korrespondierte ich auf Zeitungen und altem Papier, und schmuggelten wir es durch bei Gelegenheit des Essenbringens. Nach 8 Tagen erhielt auch ich morgens den Befehl mich zum Abtransport fertig zu machen. Ich begab mich nun zur Kanzlei um meine Gold und Schmucksachen in Empfang zu nehmen. Unter scharfer Bedeckung kamen wir nach Praga1, wo ein Transport von 1000 Mann zusammengestellt wurde; hier traf ich nun sehr viele Bekannte von mir und war sehr froh darüber, da wir doch unser Los nun zusammen tragen konnten. Wohin wir kommen sollten, wussten wir nicht. Um 12 Uhr nachts kamen wir zum Bahnhof, wo wir bis morgens 6 Uhr liegen blieben. Ich war schrecklich hungrig, da ich mein schönes Essen tagszuvor nicht bekam, und meine Schwägerin von Platz zu Platz lief, um mich zu suchen, aber nicht fand. Um 8 ½ Uhr ging es nun los; einer fragte den anderen, wo werden wir nun hinkommen ? Unsere erste Station war Brest-Litowsk, wo wir ungefähr 8 Stunden Aufenthalt hatten. Hier konnte ich mich mit Proviant versehen, und ein Mittagessen einnehmen. In Brest-Litowsk2 versuchten Deutsch-Polen, welche sich auch in unserem Transport befanden den Transportführer zu gewinnen ein Telegramm an den Zaren absenden zu dürfen, indem zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass sie doch Russen und kaisertreu seien, und er sie doch befreien sollte; der Vorschlag wurde aber abgelehnt. Dann versuchten sie eine Sammlung zu veranstalten zum Besten des russischen Roten Kreuzes. Der Offizier, ein Deutschfreund, äusserte sich aber: wenn gesammelt werde, dann müsse es unter allen geschehen, denn wir seien alle Deutsche, und vorläufig solle jeder sein Geld für sich behalten, das Rote Kreuz bedürfe keines Geldes von Leuten, die es nötiger gebrauchten. Von nun an begann noch ein grösserer Hass; uns Deutschen wurde das Deutschsprechen seitens der Polen und Tschechen verboten, aber wir harrten [S. 4] aus, und störten uns wenig.


  1. Östlicher Vorort von Warschau.
  2. Russische Festungsstadt, heute Stadt in Weißrussland.

Persons: Heep, August
Places: Warschau · Wiatka · Praga · Brest-Litowsk
Keywords: Zuchthäuser · Zivilgefangene · Bahnhöfe · Zaren · Russen · Rotes Kreuz · Polen · Tschechen
Recommended Citation: „Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918, Abschnitt 2: Abtransport aus Warschau nach Osten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/122-2> (aufgerufen am 19.04.2024)