Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918

Abschnitt 7: Einrichtung einer Krankenstation in Pretona

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Am 9. August 1915 mussten wir den Ort verlassen, und uns alle in Patschki - 160 km von Petrowskoje - stellen. Nun fuhren wir - einer Karawane gleich - (die Zahl der Fuhrwerke habe ich nicht festgestellt) 3 Tage bis wir nach Patschki kamen. Wir hatten schreckliches Regenwetter. In Patschki angekommen, meldeten wir uns sofort beim Kommissar, welcher uns auf die deutschen Kolonien verteilte. Nun kamen wir so ziemlich auseinander , und ich musste meine Pflegekinder im Stiche lassen. Mein Bestimmungsort war Pretona (Rol. 14). Bevor ich wegfuhr, liess ich noch telegrafisch 2000 Rubel = 4000 Mark, von Orenburg kommen, welche ich noch verteilte. Nun fuhr ich nach meinem neuen Heim. Da der Ort schon überfüllt war, musste ich in der Zentralschule wohnen, wo 85 Personen untergebracht wurden. Wir machten uns nun gleich daran eine allgemeine Küche einzurichten. (Mittagessen pro Person 12 kop. = 24 Pfg.) Als wir 2 oder 3 Tage in der Schule wohnten, brach Diphterie aus. Da ich nun im Besitze einer grösseren Hausapotheke war, so tat ich, was in meinen Kräften stand um zu helfen, da im Umkreis von 100 km weder ein Arzt noch eine Apotheke war. Ich war nun den ganzen Tag und die Nacht über in Anspruch genommen, da ich die Kranken alle in ein Zimmer absonderte, und niemand zu ihnen durfte. Noch am selben Tage setzte ich mich mit dem amerikanischen Consulat in Verbindung, um zu erreichen, dass hier etwas getan würde, zum wenigstens dass ein Arzt nach hier stationiert würde. Unterm 27. August 1915 wurde an mich die Bitte gerichtet eine grosse Apotheke für Pretona, sowie 36 grössere Hausapotheken für die Kolonien1 einzurichten, und ferner die ärztliche Hilfe auf allen Kolonien zu übernehmen. Da ich mich nun schon bald drei Wochen mit Kranken beschäftigt hatte, und mein Privatbestand ziemlich zu Ende ging, machte ich mich sogleich ans Werk. Zuerst bestellte ich die notwendigen Medikamente, welche mir nach 8 Tagen zugesandt wurden. Unterdessen richtete ich ein Krankenzimmer mit 5 Betten ein, danach ging es an die Hausapotheke. Drei Wochen war ich von morgens früh bis [S. 11] abends spät beschäftigt, mit abfüllen und abwiegen dar Hausapotheken für die Kolonien und Anfertigung der Gebrauchsanweisungen über die Medikamente. (Die Hausapotheken wurden jeden Monat nachgefüllt). Meine Patienten empfing ich in der Apotheke, welche ich gleich als Ambulatorium eingerichtet hatte. Dreimal wöchentlich hatte ich Sprechstunde und zwar vormittags von 9 ½ bis 11 ½ Uhr. Die andere Zeit fuhr ich auf den Kolonien umher.

Seitens des Gouverneurs wurde nun das Verlangen an mich gestellt, dass ich auch Russen behandeln sollte, natürlich freie Behandlung gegen Bezahlung der Medikamente. Ich wurde nun von Tag zu Tag immer mehr in Anspruch genommen, und hatte Tag und Nacht keine Ruhe. (Zahl der Deutschen auf den Kolonien 4321 Personen). Am 1. Dezember 1915 erhielt ich nun Hilfe und zwar seitens des Amerikanischen roten Kreuzes, welches Frl. CI. Geffchen zur Verfügung stellte; nun konnte ich etwas aufatmen; aber es dauerte nicht lange, denn am 10. Januar 1916 musste Frl. Cl. durch Abberufung nach Petersburg mich wieder verlassen. Zu Ostern 1916 wurde, da ich unterdessen in Rol. 5 auch eine Krankenstation eingerichtet hatte, mir wieder Hilfe zu teil, und zwar seitens zweier Dänischer roter Kreuz Schwestern. Mein Krankenzimmer lag ständig belegt, sodass ich mich veranlasst sah, noch ein grösseres Zimmer dazu zu mieten. Zu Pfingsten 1916 brachen auf einem Tatarendorf die schwarzen Poken aus; da nun 4 bis 5 deutsche Familien mit Kindern in dem Orte wohnten, machte ich mich sofort auf den Weg, und fuhr nach dorten. Ich stellte 60 Fälle, darunter 26 mit Tod, fest. Sofort setzte ich mich mit der Behörde in Verbindung, damit die deutschen Familien den Ort verlassen durften, was mir auch gewährt wurde. Am nächsten Tag fuhr ich von Kolonie zu Kolonie und impfte gegen Pocken. Ich habe 3700 Personen geimpft. In Pretona hatte ich 2 Pockenanfälle. Die Kranken brachte ich in einem alleinstehenden kleinen Häuschen, welches ich gemietet hatte, unter. Bei strömendem Regen, stärkstem Sturm und Unwetter war ich unterwegs auf Krankenfahrten. Am 18. Dezember wurden meine zwei Schwestern wieder abberufen, und ich erhielt meine frühere Rote Kreuz [S. 12] Schwester Frl. Cl. (Amerik.) wieder.


  1. D.h. die Wohnorte der hier im 18. Jahrhundert angesiedelten Wolgadeutschen.

Persons: Heep, August · Geffchen, Cl.
Places: Patschki · Selo-Petrovskoye · Petrona · Orenburg · Sankt Petersburg
Keywords: Kommissare · Diphterie · Apotheken · Konsulate · Amerikanisches Konsulat · Ärzte · Krankenpflege · Medikamente · Gouverneure · Russen · Wolgadeutsche · Rotes Kreuz · Amerikanisches Rotes Kreuz · Dänisches Rotes Kreuz · Krankenstationen · Tataren · Pocken · Kolonien · Pocken
Recommended Citation: „Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918, Abschnitt 7: Einrichtung einer Krankenstation in Pretona“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/122-7> (aufgerufen am 24.04.2024)