Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918

Abschnitt 9: Flucht vor Krieg zwischen Kosaken und Bolschewiken

[13-15]
Am 1. Oktober 1918 erschien in unserem Ort [S. 14] ein Kosake und forderte alle Deutsche d.h. Männer von 16-50 Jahren auf sich sofort sich Tatschki und von da nach Orenburg zum Bau von Schützengraben zu begeben. Nur wenige leisteten Folge, denn die meisten kauften sich frei. In einer Unterredung, welche ich mit ihm hatte, wurde mir, da ich noch viele Russen in Behandlung hatte, gestattet zu bleiben und weiter zu wirken. Aber ich sass trotzdem auf heissen Kohlen, denn man musste gefasst sein, doch eines Tages verschleppt zu werden. Am 7. Oktober wurde der Befehl widerrufen, aber an 10. Oktober trat er verschärft wieder in Kraft. Am 11. Oktober wurden die Kolonien von Kosaken überfallen, und beraubt, sämtliche Deutsche, welche ihnen in die Hände fielen, wurden verschleppt, wohin weiss niemand. Durch Flucht um 2 Uhr Nachts retteten wir uns (1 Herr mit Gemahlin aus München, 1 Herr aus Frankfurt am Main, und ich) indem wir 2 Tage und 2 Nächte in einer zugeschneiten Höhle zubrachten, und uns verborgen hielten. Als alles ruhig war kehrten wir in unsere Wohnung zurück, und machten uns in einem grossen Strohhaufen ein Versteck, um uns bei einem weiteren Ueberfall darin zu verstecken.

Durch Zufall wurde uns am 20. Oktober 1918 ein Fuhrwerk von den Kolonien Samara, welches zufällig in Pretona war, angeboten, und flohen wir obengenannte 4 Personen nach der Richtung Samara. Nach 3 Tagen endlich kamen wir unangehalten in Lukof an, und da wir uns etwas in Sicherheit befanden, ruhten wir uns am anderen Tage aus. Am darauffolgenden Tage ging die Reise weiter, und zwar mussten wir die Front (Kämpfe von Kosaken gegen die Bolschewiki) durchfahren; es war dies nur möglich durch Bestechung und nur während der Nacht. Zu uns gesellten sich noch vier Flüchtlingswagen, und wir fuhren einen Tag zusammen. An einem kleinen Chuter, welches wir passierten, wurden wir gewarnt, und uns gesagt, dass Räuber in der Nähe ihr Unwesen trieben, und diese erst vor kurzer Zeit den Ort passiert und beraubt hätten. Drei Fuhrwerke liessen sich nicht abschrecken, da sie sonst einen Umweg machen mussten, und fuhren darauf los. Mein Fuhrwerk und ein zweites folgten dem Rat der Bauern, und machten [S. 15] kehrt, und einen Umweg von ca. 25 km. Unterwegs versteckten wir unser Geld In den Schuhen, die Schmucksachen und andere Gegenstände im Stroh des Fuhrwerks, und richteten uns auf einen Ueberfall.

Glücklich kamen wir mittags um 2 Uhr in einem grossen Dorf an, woselbst wir rasteten, und wir waren nun aller Gefahr entronnen. Um 3 Uhr fuhren wir weiter, und kamen abends um 10 Uhr in einem Orte an, und es fiel uns schwer dort Quartier zu finden; alle betrachteten uns als Feinde, und hatten Angst, wir seien Feinde und Flüchtlinge aus Orenburg, und würden von den Bolschewiki verfolgt, und befürchteten einen Ueberfall. Als wir uns nun als deutsche Flüchtlinge zu erkennen gaben, wurden wir freundlicher behandelt, und erhielten was wir verlangten.


Persons: Heep, August
Places: Tatschki · Orenburg · München · Frankfurt · Samara · Pretona
Keywords: Kosaken · Schützengräben · Kolonien · Wolgadeutsche · Räuber · Bolschewiken
Recommended Citation: „Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918, Abschnitt 9: Flucht vor Krieg zwischen Kosaken und Bolschewiken“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/122-9> (aufgerufen am 25.04.2024)