Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe
Oberlandesgericht in Frankfurt erklärt Volksempfänger für unpfändbar, 12. Januar 1934
Das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main erklärt in einem Beschluss das Radiogerät für unpfändbar. Zwar sei das Rundfunkempfangsgerät „in früheren Zeiten“ gemäß der in § 811 Ziffer 1 der Zivilprozessordnung enthaltenen Bestimmungen sehr wohl pfändbar gewesen. Jedoch sei „nach der Umgestaltung der politischen Verhältnisse durch den Nationalsozialismus“ von grundsätzlich anderen Voraussetzungen auszugehen: „Die Beschränkung der Pfändung nach § 811 ZPO [habe] ihren gesetzlichen Grund ebenso wie in der Sicherung des häuslichen Zusammenlebens des Schuldners auch in den Notwendigkeiten, die das öffentliche Interesse erfordert, da der einzelne in der Gemeinschaft eine untergeordnete Rolle spielt.“ Zur Begründung seiner Entscheidung bezieht sich das Gericht ausdrücklich auf den im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda entwickelten und im August 1933 auf der 10. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin vorgestellten „Volksempfänger“ VE301, einen Radioapparat für den Empfang von Mittelwellenrundfunk und Langwellenrundfunk:
„Im neuen Reich ist in einem angemessenen Hausstand ein Radioapparat nicht zu entbehren. Durch ihn werden die wichtigsten politischen und volkswirtschaftlichen Meldungen verbreitet. Der Rundfunk ist als Reichsinstitut für die staatsbürgerliche Erziehung und die Erkämpfung der Einheit des deutschen Volkes von höchster Bedeutung. Er ist vor allem das Sprachrohr des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda ... Das Radio dient heute dem Ziele des Führers, ein großes einheitliches deutsches Volk zu schaffen. Die Regierung hat selbst den sogenannten ‚Volksempfänger‘ herausgebracht damit es jedem Deutschen ermöglicht wird, am Werden und Wachsen des nationalsozialistischen deutschen Staates lebendigen Anteil zu nehmen.“ Folglich sei das Radio „heute ein Stück des geistigen Bedarfs eines jeden deutschen Volksgenossen ohne Unterschied von Rang und Stand“ und „zur Erhaltung eines angemessenen Hausstandes unentbehrlich“.
(KU)
- Belege
- Andreas Bernard, Hände weg!, in: Süddeutsche Zeitung Magazin Heft 23/2012. (Online: URL: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/37655, eingesehen am 10.12.2013)
- Hans Wrobel, Die Pfändbarkeit des Volksempfängers – oder: wie der vermeintlich unpolitische und neutrale § 811 Ziffer 1 ZPO nach 1933 im Sinne der NS-Ideologie ausgelegt wurde, in: Kritische Justiz. Vierteljahresschrift für Recht und Politik 18 (1985), H. 1, S. 57-67
- Empfohlene Zitierweise
- „Oberlandesgericht in Frankfurt erklärt Volksempfänger für unpfändbar, 12. Januar 1934“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4994> (Stand: 12.1.2023)
- Ereignisse im Dezember 1933 | Januar 1934 | Februar 1934
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