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Proteste gegen Goethe-Preis für Ernst Jünger, 28. August 1982

Der Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) nimmt trotz heftiger Proteste den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main entgegen.

Jünger wird vor allem für sein Frühwerk, in welchem er seine nationalistische, autoritäre und militaristische Weltanschauung schildert und für seine Nähe zur NSDAP und das Gutheißen des Nationalsozialismus kritisiert. Insbesondere sein Roman „Der Arbeiter“ wird zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus gezählt, bis 1949 galt für Jünger deshalb ein Veröffentlichungsverbot. Nach Aufhebung des Verbots konnte er allerdings weitere Erzählungen und Romane publizieren, die äußerst erfolgreich waren.

Im Vorfeld der Verleihung des Goethe-Preises findet eine Debatte im Stadtverordnetenparlament statt, initiiert von der Grünen-Fraktion. Diese verlangt, die Nominierung Ernst Jüngers für den Goethe-Preis zurückzuziehen. In einer Ansprache verteidigt Oberbürgermeister Walter Wallmann (1932–2013; CDU) unter Zwischenrufen der Grünen die Entscheidung des Kuratoriums, Jünger auszuzeichnen, und hebt dessen oppositionelle Einstellung gegenüber des Nationalsozialistischen Regimes hervor, die er mit seiner Ablehnung eines Platzes in der gleichgeschalteten Dichterakademie sowie seiner 1941 veröffentlichten „Friedensschrift“ belegt. Den Vorwurf, Ernst Jünger sei geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen, weist Wallmann hingegen zurück.

Grünen-Abgeordneter Walter Oswalt entgegnet, Jünger habe der „Mobilisierung der Massen für den totalen Krieg des deutschen Faschismus“ gedient. Er habe „im Zentrum des deutschen Faschismus gestanden und bis heute ein ungebrochenes Verhältnis zu seiner Vergangenheit“. Er verweist darauf, dass Hitler und Jünger sich gegenseitig ihre Bücher mit persönlichen Widmungen zukommen ließen und dass Jüngers Bücher „Gewalt attraktiv und dadurch möglich gemacht und als berühmter Schriftsteller dem Faschismus im intellektuellen Bürgertum zum Durchbruch verholfen“ haben.

Für die SPD-Fraktion hält Frolinde Baiser eine Rede, in der sie in Frage stellt, warum der Goethe-Preis an einen „stockkonservativen“ Schriftsteller vergeben werden solle und auf die Wichtigkeit einer kritischen Aufarbeitung der Literaturgeschichte vor 1945 hinweist. Sie schließt mit dem Fazit, dass die Rolle Jüngers Schriften als Wegbereiter nationalsozialistischen Denkens unstrittig sei und er eine kriegsverherrlichende und demokratiefeindliche Denktradition vertrete, weswegen die SPD einer Auszeichnung Ernst Jüngers kritisch gegenüberstehe.1

Die Auszeichnung Ernst Jüngers mit dem Goethe-Preis findet dennoch am 28. August in der Paulskirche statt. Unter demonstrativem Beifall wird der mit 50.000 DM dotierte Preis von Oberbürgermeister Wallmann überreicht. Anwesend sind bei der Verleihungszeremonie Abgeordnete des Europäischen Parlaments, des Bundes- und Landtags, ausländische Botschafter und Generalkonsuln, Vertreter von Kultur und Wissenschaft, darunter Universitätspräsident Hartwig Keim und Kulturdezernent Hilmar Hoffmann (1925–2018). Fraktionsmitglieder von SPD und Grünen des Stadtparlaments hingegen bleiben der Veranstaltung fern. Stattdessen sammelt sich vor der Paulskirche eine Gruppe Demonstrierender, die versucht, die Veranstaltung zu stören und ihren Unmut über den Goethe-Preisträger zum Ausdruck bringt.2
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.8.1982, S. 41: Parlament streitet über Jüngers Denken und Dichten.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.8.1982, S. 25: „Scheltende von heute – morgen die Gescholtenen“.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Proteste gegen Goethe-Preis für Ernst Jünger, 28. August 1982“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1463> (Stand: 9.12.2022)
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