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Niemöller warnt vor Eintritt in die Bundeswehr, 24. Januar 1959

Martin Niemöller (1892–1984), Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Deutschen Friedensgesellschaft, bezeichnet in einer Rede in Kassel die Ausbildung von Soldaten im Atomzeitalter als eine Ausbildung zum Massenmord und warnt Eltern davor, ihre Söhne Soldat werden zu lassen.1 Daraufhin stellt Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (1915–1988) als „Oberster Dienstherr“ der Bundeswehrangehörigen beim Landgericht Kassel Strafantrag wegen Beleidigung der Bundeswehr. Nach Darstellung des Bundesverteidigungsministeriums bezeichnete der Kirchenpräsident die Bundeswehr als „Hohe Schule für Kriegsverbrecher“.

Niemöller, der die Rede auf Einladung der „Vereinigung der Freunde für Völkerfrieden“ in Kassel gehalten hat, bestreitet diese Formulierung und betont, er sei „von der Presse falsch verstanden“ worden. Anders als vom Ministerium dargestellt habe er im Zusammenhang mit „Sonderkommandos des Zweiten Weltkriegs von einer Erziehung zu Verbrechern gesprochen. Viele ehemalige Angehörige dieser Kommandos seien der Meinung, daß diese Ausbildung eine Erziehung zum Verbrecherhandwerk gewesen sei. Diese Ausbildung aber sei noch harmlos gegenüber der an Atomwaffen“. Keinesfalls habe er alle Bundeswehrsoldaten pauschal zu Verbrechern stempeln wollen. Richtigerweise seien seine Worte so zu verstehen, dass er in seinem Vortrag die deutschen Mütter gefragt habe, ob sie wünschten, daß ihre Söhne einem verbrecherischen Handwerk nachgingen. Er habe dies in Zusammenhang mit der Frage aufgeworfen, ob ein Christ überhaupt Soldat sein könne. Die zuständige Staatsanwaltschaft erhebt in der Folge keine Anklage.

Den als Kasseler Rede bekannt werdenden Äußerungen folgt eine weitere Rede am 30. Juni 1959, die Niemöller auf Einladung der Siegener Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft und der Kirchliche Bruderschaft im Musiksaal des Siegener Lyzeums hält. Am 5. Oktober 1959 bestätigt Niemöller über den evangelischen Pressedienst, dass gegen ihn nunmehr ein Ermittlungsverfahren anhängig sei, dass sich auf seine Siegener Rede bezog – erneut wegen angeblicher Beleidigung bzw. übler Nachrede der Bundeswehr.
(KU)


  1. „Denn sie wissen, was sie tun! Krieg ist gegen den Willen Gottes. Nun ja, das ist viel gesagt und gar nichts getan. Mord ist auch gegen den Willen Gottes. Aber damit, dass ich das feststelle und Morde nicht verhindere, habe ich eben noch gar nichts getan. Und damit ist heute die Ausbildung zum Soldaten die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden.“ Zitiert nach DFG-VK Bonn-Rhein-Sieg: Martin Niemöller – Denn sie wissen, was sie tun! (eingesehen am 24.1.2013).
Records
  • Eckhart G. Franz (Hrsg.), Die Chronik Hessens, Dortmund 1991, S. 440
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.1.1959, S. 1: Strauß verklagt Niemöller: Wegen Beleidigung der Soldaten der Bundeswehr / Der Kirchenpräsident bestreitet
  • Thomas Wolf, Die Rede Martin Niemöllers im Siegener Lyzeum, 30. Juni 1959 – eine Episode in der Geschichte der Siegerländer Friedensbewegung. Textabdruck mit kurzer Einführung, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte 11 (2006), S. 209-220 (Download als pdf-Dokument)
Recommended Citation
„Niemöller warnt vor Eintritt in die Bundeswehr, 24. Januar 1959“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1100> (Stand: 26.11.2022)
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