Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau

Abschnitt 7: Fernpatrouille des Leutnants Nolte

[62-63] Am 13. August, gegen 4 Uhr morgens, brachen wir wieder auf. Unsere erste Aufgabe war das Überschreiten des Virton-Baches auf der in Ethe befindlichen Brücke. Ich hatte die Patrouille so auseinandergezogen, daß der erste Reiter die Brücke und somit den Ausgang des Dorfes passiert hatte, ehe der letzte in das Dorf einritt. Der Feind versuchte oft, den deutschen Patrouillen nach dem Einreiten in Dörfer den Weg in ihrem Rücken durch Hindernisse aller Art zu versperren und ihnen so einen Hinterhalt zu legen. Gleich am Eingange des Dorfes linker Hand standen drei große, mir sehr verdächtige Leiterwagen. Ich schärfte den Nachhutreitern ein, die Gehöfte rechts und links der Straße im Auge zu behalten und durch Schüsse uns auf bevorstehende Gefahren aufmerksam zu machen. Das Leben im Dorfe zeigte sonst nichts Auffälliges. Hühner gackerten auf den Straßen, Schweine wühlten auf den in Belgien vor den Häusern befindlichen Misthaufen, Bauern zogen mit Mistgabeln über die Straßen, Frauen mit Rechen zur Feldarbeit. Wirklich ein harmloses Bild! Beim Eintritt in das Dorf bog die Straße zweimal im rechten Winkel — einmal links, einmal rechts — um, dann lag die lange Dorfstraße mit der Kirche im Hintergrund vor uns. An dieser Kirche sollte es „links schwenken" heißen, um dann nach Überschreiten des Virton-Baches die jenseitigen Höhen zu gewinnen.

Kaum war der Spitzenreiter links umgebogen und der Nachfolger, Sergt. Hartmann, mit seinem Reiter in die Nähe der Kirche gelangt, als sich blitzartig die Situation änderte. Hinter der Kirche und den naheliegenden Häusern sprangen rotbehoste französische Dragoner in blauen Jacken hervor und gaben eine Salve auf uns ab. Plötzlich war die lange Dorfstraße menschenleer. Alle Türen und Fenster waren geschlossen, und nun begann ein Feuer- Hagel aus den Häusern. Ich sah deutlich, wie sich an einzelnen Dächern die Ziegel hoben und aus den entstandenen Luken die Rauchwölkchen der abgegebenen Schüsse sichtbar wurden. Die Dorfausgänge vor uns waren bereits verbarrikadiert. Es blieb uns nur übrig, kehrt zu machen und den Ort aus [S. 63] dem durch die nachfolgenden Reiter gesicherten Ausgang zu verlassen. Vor mir stürzte ein Ulan, dessen Pferd getroffen war. Ich sah ihn nach dem Dorfausgange laufen. Kurz vor der ersten Wegebiegung im Dorf brach ich mit meinem angeschossenen Pferde zusammen. Meine Lanze zerbrach. Ich versuchte, so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen, was mir mit Anstrengung gelang. Mein braver Fuchs war nicht zu bewegen, sich zu erheben. Rätselhaft blieb mir, daß trotz den Dutzenden von Schüssen, die nun von allen Ecken und Enden auf mich abgegeben wurden, auch nicht einer traf.


Persons: Struckmann, Johannes
Keywords: Thüringisches Ulanen-Regiment Nr. 6 · Ulanen-Regiment Nr. 6
Recommended Citation: „Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau, Abschnitt 7: Fernpatrouille des Leutnants Nolte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/91-7> (aufgerufen am 19.04.2024)