Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau

Abschnitt 8: Fernpatrouille des Leutnants Nolte

[63-64] Ich zog meine Pistole und lief dem Dorfausgange zu. Da hörte ich hinter mir Pferdegetrappel. Mein tapferer Sergt. Hartmann, dem das Blut vorn und hinten aus einer schweren Wunde herausspritzte, sank vom Pferde auf die Dorfstraße.

Inzwischen hatte sich die Patrouille außerhalb des Dorfes gesammelt. Als ich sie erreichte, war mein sofortiger Entschluß, unseren Sergt. Hartmann aus diesem Franktireurnest herauszuholen. Die Schießerei war allmählich verstummt. Ich ließ die Pferde in einem nahegelegenen Hohlweg in Sicherheit bringen und ging schußbereit mit einigen Ulanen wieder ins Dorf hinein. Aus einem der nächsten Torwege, aus dem ein erschreckter Pisang sofort die Stiege hinauf die Flucht ergriff, holten wir uns eine Schubkarre, luden Sergt. Hartmann darauf und verließen, vom Feinde unangefochten, das Dorf. Ich freute mich, daß keiner von meinen braven Ulanen in Gefangenschaft geraten war. Plötzlich ertönte aus der Straße lautes Gewieher. Voller Freude sahen wir meinen braven Fuchs Talisman, stark blutend und mit Zerrissenen Zügeln, uns entgegenkommen. Er hatte bei dem Versuch der Franzosen, ihn zu fangen, sich schleunigst darauf besonnen, daß er zu unserer Patrouille gehörte. Während die Straße beobachtet wurde, brachte ich unseren tapferen Sergt. Hartmann in den Mühlenhof, den wir am Abend vorher durchritten hatten. Ich deutete dem Müller an, daß ich ihm unseren Ulanen anvertraue. Binnen kurzer Zeit sei unser ganzes Regiment hier; wenn der Ulan nicht mehr gefunden würde, hätte er dafür zu büßen. Tatsächlich hat er Hartmann, wie ihm aufgetragen, in ein französisches Hilfslazarett gebracht, wo sich Hartmann von der schweren Schußwunde, die mitten durch die Erkennungsmarke gegangen war, erholen konnte.

Der Ulan, der sein Pferd eingebüßt hatte, bekam das Pferd des Sergt. Hartmann, ich bestieg wieder meinen braven Fuchs, dann trabten wir, glücklich dem Feinde entronnen zu sein, durch den herrlichen Buchenwald in den ersten Sonnenstrahlen des Morgens längs der Kleinbahn nordwärts weiter, um ein Vordringen an anderer Stelle zu versuchen. In einem Waldstück, dessen Boden feucht war, konnte ich leicht die Abdrücke der Hufe französischer Pferde feststellen, die wohl in Eskadronsstärke in Richtung auf Ethe standen. Kaum waren wir aus dem Walde heraus und wollten die Bahn an einem Übergang passieren, als sich kurz vor unserer Spitze die Schranken senkten; für uns ein unfehlbares Zeichen, daß Gefahr im Anzuge war. Es hieß also ausbiegen, und zwar über den durch eine Hecke und Rangierdrähte zum höchst unangenehmen Hindernis werdenden, hohen Bahndamm. Also Sporen rein, im Galopp über die Bahnstrecke und auf der anderen Seite wieder herunter. Es ging nicht ohne einige Stürze ab, da die Schüttung auf der anderen Seite nachgab. Wir ritten durch eine ausgedehnte Erlendickung bis aus die nordwärts führende Straße. Nachdem ich festgestellt hatte, daß das Dorf Vuzenol, auch Straße und Gelände vom Feinde frei waren, trat die Patrouille den Rückweg an. Die Schmerzen in meinem stark angeschwollenen Unterschenkel verzögerten ihn, so daß wir erst in der Abenddämmerung unsere Eskadron in Arlon erreichten, der ich ausführliche Meldung erstattete. Ich fürchtete schon, mich von meinem Regiment trennen zu müssen, weil unser Regimentsarzt einen ziemlich schweren Bluterguß im rechten Fuß und Unterschenkel feststellte. Mit Hilfe von Eisumschlägen konnte ich aber den Fuß so weit bewegungsfähig machen, daß ich das Regiment beim Vormarsch am [S. 64] 18. August, wenn auch in den ersten Tagen den rechten Fuß nur im Morgen-schuh, begleiten konnte."


Persons: Struckmann, Johannes
Keywords: Thüringisches Ulanen-Regiment Nr. 6 · Ulanen-Regiment Nr. 6
Recommended Citation: „Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau, Abschnitt 8: Fernpatrouille des Leutnants Nolte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/91-8> (aufgerufen am 16.04.2024)