Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau

Abschnitt 10: Abschnitt 10

[64-65] Ein anschauliches Bild von dem frischen Angriffsgeist unserer Ulanen gibt der nachfolgende Bericht des Leutnant Theodor Schelle (jetzt Major im Reichswehrministerium) aus jenen Augusttagen:

„Erste Patrouille im Westen:"

„Am 11. August abends, kaum von Patrouille zurückgekehrt, bekam ich vom Regiment durch den Adjutanten Leutnant Frhr. von Lyncker einen neuen Auftrag für den nächsten Tag. Fernpatrouille — mein Herz schlug höher! Feststellung, ob und was für Feind in Gegend Habay la Neuve und Etalle sei. Am 12., um 4 Uhr morgens, ging es mit 15 ausgesuchten Leuten der 1. Eskadron — alles alte Rekruten von mir — los. Nachdem wir unsere vordersten Linien passiert hatten, gings in dem bergigen Gelände vorsichtig weiter. Hobscheid—Schweich—Beckerich wurden durchritten. Dort an der Mühle ein Barrikade, auf die wir vorbereitet waren; Leutnant Wagner mit seinen 8. Kürassieren, schon tagelang dort Grenzwacht haltend. Er schlief noch auf einem Heuboden. Ich kletterte zu ihm herauf. Er riet dringend ab, weiter zu reiten, da jenseits der Grenze Teile einer französischen Kavallerie- Division lägen. Die suchte ich ja gerade. Ich beschloß, die Dörfer zu vermeiden und auf den Bergen weiterzupirschen. Zum ersten Male über die belgische Grenze bei Oberpallen. Hier kamen plötzlich acht total zerlumpte Kerle, von weitem winkend, auf uns zu. Nach näherer Betrachtung waren es 8. Husaren, die schon eine Woche auf Fernpatrouille waren und nun führerlos herumirrten. Nach der Größe ihrer Freude zu urteilen, schienen sie uns als ihre Lebensretter anzusehen. Wir zeigten ihnen nach kurzem Ausfragen den Weg zur nahen Feldwache. Bergauf, bergab, heißer Vormittag, [S. 65] mehr zu Fuß als zu Pferde, prachtvolle Ausblicke auf die hübsche Gegend und die leeren Dörfer. Endlich Habay la Neuve vor uns. Es mußte getränkt werden. Eine Mühle an der Straße schien geeignet. Halb und halb wurden abwechselnd Roh und Reiter gelabt. Kaum waren wir fertig, da kam eine Patrouille im Galopp aus dem Dorf heraus. Durch das Glas erkannte ich bald meinen Bruder Edwin, der nun zunächst auch mal tränkte und trank und dann erzählte. Seitwärts des Ortes, auf Höhe 416, stände eine feindliche Patrouille. Wir ritten dorthin. Von der Höhe mußte man alles sehen können. Tatsächlich standen etwa ein Dutzend Reiter oben und schossen meine Spitze an. Wir setzten zur Attacke an, was auf die Franzmänner gar keinen Eindruck machte. Sie schossen weiter von den Pferden auf uns. Ich drückte schon 50 Meter vor den Kerls aus heiserer Kehle an dem ersten Hurra rum, da versperrte ein vierfacher Stacheldraht den Weg. Daher die stoische Ruhe der Franzmänner. Runter von den Pferden, Karabiner raus, Schüsse krachten, die Franzosen im wüsten Galopp los. Weit hinten am Horizont verschwanden sie immer noch lang galoppierend im Dorf Etalle. Nach dem Galopp hatten Pferd und Reiter wieder Durst, wir tränkten am ersten Haus von Habay la Neuve. Ein mürrischer Kerl reichte uns Wasser, das er aber erst selbst probieren mußte. Später hat er eine Meldepatrouille von uns angeschossen und ist mit seinem eigenen Revolver ins Jenseits befördert worden.


Persons: Struckmann, Johannes
Keywords: Thüringisches Ulanen-Regiment Nr. 6 · Ulanen-Regiment Nr. 6
Recommended Citation: „Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau, Abschnitt 10: Abschnitt 10“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/91-10> (aufgerufen am 29.04.2024)