Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921

Abschnitt 10: Urlauber, Feldpostbriefe, gefallene und vermißte Camberger

[18-19] Groß war die Freude, als unsere Krieger zum ersten Male in Urlaub kamen. Ueberall wurden sie freudig begrüßt. Jeder wollte hören, wie es draußen zuging. Aber sie erzählten nicht viel davon und wollten garnicht gern daran erinnert sein. - Allzu rasch vergingen die wenigen Tage. Dann kam der bittere -Abschied. Am Bahnhof konnte man jeden Tag aufregende Szenen beobachten.

Qualvoll war die Zeit des Bangens, des Harrens und Hoffens der Daheimgebliebenen. Niemand weiß davon besser zu erzählen als der Briefträger, der Tag für Tag die Feldpost austrug. Wie ungeduldig wurde er erwartet, wenn längere Zeit jede Nachricht ausgeblieben war! Wie freudig wurde er empfangen, wenn er endlich frohe Kunde brachte! Aber wie bitter war auch seine Aufgabe, wenn er das Schlimmste mitteilen mußte! Die Post war verpflichtet, den Angehörigen gefallener Krieger die Todesnachricht entweder durch den Pfarrer oder durch Verwandte möglichst schonend überbringen zu lassen. Aber in vielen Fällen getraute sich niemand, dieses undankbare Botenamt zu übernehmen. Da mußte der Briefträger einspringen. Es war seine härteste Pflicht. Der Herausgeber dieses Büchleins, dem sie gar manchmal oblag, hat keine Worte, das Leid zu schildern, das er dann sah.

So furchtbar die Todesnachricht auch war, die Familien hatten doch endgültigen Bescheid über das Schicksal ihres lieben Angehörigen. Quälende Ungewißheit dagegen brachte das Wörtchen „vermißt", mit dem so mancher Brief, so manche Karte zurückkam. Noch Ende 1915 fehlte jede Nachricht über das Schicksal zahlreicher irr den ersten Kriegswochen verschollener Söhne unserer Stadt.

Gewissenlose Menschen machten sich dies zunutze. Eine Photographie tauchte auf, auf der, wie man erzählte, deutsche Gefangene des französischen Lagers in Sorten abgebildet seien. Von einer Französin, der Gattin eines deutschen Offiziers, sollte sie eingeschmuggelt worden sein. Das Bild war im ganzen Nassauer Land verbreitet. Viele wollten ihre Angehörigen darauf erkennen.

Sie sollten sich in ihrer Hoffnung bald getäuscht sehen. Die Zentralstelle des Roten Kreuzes enthüllte den Schwindel des schändlichen Machwerks, dessen Nachbildung streng verboten wurde.


Recommended Citation: „Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921, Abschnitt 10: Urlauber, Feldpostbriefe, gefallene und vermißte Camberger“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/34-10> (aufgerufen am 01.05.2024)