Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpostbriefe und Feldpostkarten an den Bürgermeister in Buchenau, 1914

Abschnitt 4: Feldpostbrief des Johannes Damm vom 26.8.1914

[1-8]
Feldpostbrief des Unteroffiziers Damm an Bürgermeister Muth in Buchenau vom 26. August 1914 aus Jemeppe sur Meuse.


Brief
Umschlag, Vorderseite:
Feldpostbrief | Herrn | Bürgermeister Muth | in | Buchenau | Kreis Biedenkopf | Hessen Nassau
Umschlag, Rückseite:Absender Unterofizier Damm | 4. Batter. Fusartillerie1 Landsturm | Battailion 11. Armeekorps
[am Rand:] "27 Aug. Regen"
Kein Stempel


Text:
Jemeppe sur Meuse2, den 26 August 1914
Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Zurückdenkend an die schöne Zeit, welche ich in Gegenwart meiner Lieben zu Hause verleben durfte und jezt in Feindesland , überkommt es mich manchmal mit Wehmut. Jedoch ein alter echter Deutsche kann auch dieses leicht überwinden und mit großer Freude begrüße ich es, daß ich noch fähig bin des Kaisers Rock zu tragen und zwar noch im schwäbischen alter3 wird in Feindesland. Da Sie, geehrter Herr Bürgermeister mir stets mit allem nur denklichen Wohlwollen seit ich das Amt eines Gemeinderechners begleiten durft entgegenkamen fühle ich mich veranlasst Ihnen und Ihrer ganzen Familie die mir erwiesenen Wohltaten mit alluntertänigstem Danke [S. 2] zu Erwiedern. Ich will keine weite Ausschweifungen machen und Ihnen und Ihnen meine Erlebnisse bis zum heutigen Tage bekannt geben. Seit Sonntag, den 23. 8. Morgens 5 ½ Uhr befinden wir uns auf belgischem Gebiet. Wir waren zuerst nach Ulm an der Donau beordert, wurden jedoch als die Französische Armee unter Führung des Kronprinzen von Bayern geschlagen worden war, erhielten wir sofort Befehl den Marschkurs zu ändern. Wir waren schon durch ganz Thüringen u. Bayern bis ½ Stunde von Würtemberg als uns die Nachricht traf. Es ging dann im direkten Weg zurück den ganzen Rhein entlang und hatte ich Gelegenheit die stolzen Burgen nebst dem schönen Niederwalddenkmal, das Schloß Stolzenfels4, den Lorereifelsen5 und die prächtigen Weinberge zu bewundern. Weiter ging dann die Fahrt durch das für Touristen und Naturfreunde sehenswürdige schluchtenartige mit herrlichen Weinbergen [S. 3] bepflanze Aartal6. Meine Augen konnten sich nicht genug weiden, denn ein solcher Genuß wie er mir auf dieser Reise zu theil geworden, kann ich wirklich in Worten nicht fassen. Die Zuvorkommenheiten des Rothen Kreuzes, Vaterländische Vereinen überschütteten uns alte Landsturmmänner mit Liebesgaben derart, daß manchen von uns die Thränen in den Augen standen. Diese wehmütige Stimmung wurde aber bald wieder gehoben durch die Anstimmung der Wacht am Rhein7. Die Zeit verstrich zu schnell und im Handumdrehen setzte sich der Zug schon in Bewegung.

In Junkerat angekommen, es war 9 Uhr Abends (22 Aug) erhielten wir das letzte warme Essen auf deutschem Boden. Gleichzeitig wurden hier die Erkennungsmarken ausgegeben. Von Junkerad ging dann die Fahrt um 10 Uhr weiter und gelangten am 23. August morgens 5 ½ Uhr [S. 4] die belgische Grenze. In Veimavarts empfingen wir die letzten Liebesgaben aus deutschen Händen. Kurz vor der belgische Grenze richtete ich dann an meine Korporalschaft das Ersuchen gemeinschaftlich zu beten worauf alle andächtig den 23 Psalm anhörten welchen ich vorsagte. Der Eindruck dieses Momentes und der Übertritt in Feindesland wird ewig in meinem Gedächtnis bleiben. Alles tief ergriffen lauter ältere Familienväter seinen lieben angehörigen zu Hause gedenkend bemerkten wir die ersten Zeichen des Krieges. Hier und da eine defecte Dampfmasche, entzwei geschossene Eisenbahnwagen, aufgerissen geleise alles kunderbund durcheinander. Ueberall sah mann an Häusern die Weise Fahne ein Zeichen der Ergebung. Schließlich kamen wir nach Lüttig und bemerkte ich zuerst die deutsche Flagge auf dem Bahnhof wehen. Welch ein Treiben sich schon da befand, lauter Eisenbahner [S. 5] deutscher Nationalität hatten die Leitung schon übernommen. Das Eisenbahnregiment reparierte die defecten Stellen und man bekam den Eindruck als ob alles schon Jahrelang in deutschen Händen wär. Die Forts sind ganz und gar von unserer Artillerie verschossen und machen einen erdrückenden Eindruck. Ja selbst belgische Ofiziere waren von der Gewalt der deutschen Geschosse bestürzt, denn ein solcher Angriff hatten sie nicht gedacht. Lüttig eine Industriestadt ersten Ranges blühend in allen Zweigen sehr saubere stolze Gebäude, auch die Bevölkerung ist sehr sauber gekleidet ebenfalls in den Häuser wo ich war waren mustergültig in Ordnung. Nur die Bewohner sind hinterlistig, mißtrauisch aber sie haben schon respeckt von deutschen bekommen, weil sie überall besiegt wurden. Augenblicklich bin ich in Jemeppe sur Meuse auch ein schönes sauberes Städtchen von 6 – 7 000 Einwohner [S. 6]

Alle städtische u Fiskalische Gebäude sind in Besitz genommen und liegen wir hier in einer großartigen Schule im Quartier. Gestern mußten sämmtliche brauchbare belgische Pferde aus Jemeppe an die deutschen geliefert werden, natürlich gegen Bezahlung. Aus unserer Truppe wurden sämmtliche Pferdekundige heraus gesucht welche als Pferdepfleger thätig und Fuhrdienste verrichten müssen. Es werden nämlich befestigte Plätze angelegt, die verschlossenen Forts werden wieder instand gesetzt um bei einem eventuellen Sieg den Belgier bei Antwerben befestigte Plätze zu haben.

Unter die G ... habe ich meiner lieben Frau geschrieben und können Sie den Brief alda in Empfang nehmen u. lesen. Im übrigen aber Herr Bürgermeister empfangen Sie nochmals meinen Dank für das mir erwiesene Entgegenkommen [S. 7] seit ich in Diensten der Gemeinde stehe.
Gleichzeitig wollen Sie dem Gemeinderat und der Gemeindevertretung die besten Grüße von mir aus Feindesland übermitteln.
Auch bitte ich sich meiner Familie annehmen zu wollen und werde nicht aufhören zu sein Ihr stets dankbarer Johs Seb Damm

Unterofizir Damm | Fußartillerie Landsturmbattaillion | 4 Batterie | 11 Armee Korps | zur Zeit im Feldzug

Grüßen Sie bitte Ihre Familie u. Klenners Pfarrers sowie Freunde u. In ...
Auf frohes Wiedersehn
Das Walte Gott.

[S. 8] Gestern 25. Aug passierten 40 Lastautomobile mit Munition unsere Stadt. Tag täglich kommen Gefangene hier durch Engländer, Franzosen, Belgier; Gestern mußten die Einwohner von Jemeppe die Schußwaffen, welche sie in ihren Häusern hatten, abliefern. Ich hatte gerade Dienst und mußte selbige in Gegenwart eines Offiziers in Empfang nehmen.
2 Wagen voll. Jeder Einwohner ist und war mit Waffen versehen. Daher die vielen Franktireurs.


  1. Als Fußartillerie wurden die Artillerieeinheiten bezeichnet, deren Mannschaften nicht beritten waren (wie die der Feldartillerie).
  2. Jemeppe sur-Meuse, südwestlicher Vorort von Lüttich.
  3. Das schwäbische Alter uoder Schwabenalter geht auf eine Redensart zurück, nach der ein Schwabe erst mit 40 Jahren "g'scheit" wird.
  4. Schloss Stolzenfels über dem heutigen Koblenzer Stadtteil Stolzenfels.
  5. Der Loreleifelsen bei St. Goarshausen im Oberen Mittelrheintal.
  6. Gemeint ist das Ahrtal südlich von Bonn.
  7. Das nationalistische Lied "Es braust ein Ruf wie Donnerhall", Text 1840 von Max Schneckenburger, Vertonung 1854 durch Carl Wilhelm. Das Lied wurde im wilhelminischen Kaiserreich als eine Art zweiter Nationalhymne gesungen.

Persons: Damm, Johannes · Muth, Bürgermeister · Bayern, Rupprecht von
Places: Buchenau · Jemeppe-sur-Meuse · Lüttich · Belgien · Ulm · Thüringen · Bayern · Württemberg · Niederwalddenkmal · Stolzenfels · Rüdesheim · Lorelei · Ahrtal
Keywords: Feldpost · Feldpostbriefe · Unteroffiziere · Fußartillerie · Landsturm · 11. Armeekorps · Schwabenalter · Gemeinderechner · Rotes Kreuz · Vaterländische Vereine · Landsturmmänner · Liebesgaben · Wacht am Rhein
Recommended Citation: „Feldpostbriefe und Feldpostkarten an den Bürgermeister in Buchenau, 1914, Abschnitt 4: Feldpostbrief des Johannes Damm vom 26.8.1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/146-4> (aufgerufen am 16.04.2024)