Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918

Abschnitt 7: Verknappung der Lebensmittel

[45] Die Lebensmittel werden knapp

Ein Sechsheldener Bürger hat mir eine Anordnung des Reichsministeriums des Innern in Berlin "Die Ernährung im Kriege” zur Verfügung stellen können, die eigenartigerweise kein Erscheinungsdatum trägt. Aus dem beschriebenen Zusammenhang kann allerdings geschlossen werden, daß sie etwa im Februar/März 1915 erschienen ist. Wenn man sich diese Anordnung näher ansieht, stellt man fest, daß es sicher richtig war, die Ausmahlquote für Weizen und Roggen von etwa 60-62% auf 80-82% zu erhöhen. Das Brot schmeckte dadurch zwar nicht so gut, aber man erzielte etwa 30% mehr Mehl.

Zur Viehfütterung wird dort ausgefuhrt: der Ersatz muß hier durch Nährmittel, die für den Menschen ungenießbar sind, erfolgen, wie Schlempe, Treber, Heu, Stroh, Kleie (durch die Ausmahlverordnung wurde die Menge hier geringer); im Frühjahr und im Sommer Grünfutter. Das bedeutete, daß viel Vieh, vor allem aber Schweine, nicht durchgehalten werden konnte, sondern geschlachtet werden mußte. Für den Augenblick gab es dadurch zwar mehr Fett und Fleisch, wegen des Fehlens an Konservierungsmitteln war aber der Bestand schnell aufgebraucht, und dann wurde es sehr eng auf diesem Gebiet - für Jahre.

Und wie sah es bei uns zuhause mit der Ernährung aus? Ich erinnere mich daran, daß meine Mutter mir einmal Brote für die Schule mitgab mit dem Bemerken: "Das ist deine Tagesration”. Es waren zwei Schnitten rund um den großen Laib Brot. Bei uns hießen diese "Ranken”. Das Gewicht dieser zwei Ranken war 250 Gramm und war die tägliche Ration für den Normalverbraucher. Meine Mutter wollte mir damit nicht sagen: Du bekommst sonst nichts mehr, denn zugunsten meines Vaters und meinetwegen schränkte sie sich selbst ein. Außerdem war mein Bruder noch klein und brauchte seine Portion nicht auf. Der Standpunkt meiner Eltern: wir müssen so viel arbeiten, daß wir eine gewisse Zulage, wie sie Schwerarbeiter in den Betrieben bekommen, verdient haben. Außerdem schaffen wir aus eigenem Antrieb letzten Endes neben dem Beruf den Hauptteil der Ernährung - Brotgetreide, Fleisch, Fett, Milch, Kartoffeln für uns und geben noch einen Teil ab.

Ich weiß noch gut, wie es bei uns im Krieg in der Küche war. Bei den Mahlzeiten gab es nur sehr wenig Abwechslung. Etwa vier- bis fünfmal in der Woche hatten wir Eintopf: Gerstensuppe mit Kartoffelwürfeln, Kartoffelsuppe mit Gemüse, Möhren mit Kartoffeln gestampft, Kohlrabi mit Kartoffeln gestampft. Ich konnte die Gersten- und Kartoffelsuppe kaum noch riechen. Meine Mutter ordnete aber an, daß ich nicht eher etwas anderes bekäme, bis ich eine entsprechende Portion des mir Vorgesetzten Gerichtes verzehrt hätte. Das war hart, aber Mutter blieb nichts anderes übrig. Auf dem Brot mußten wir die Butter dünner schmieren, Pflaumenmus und Gelee, Schmierkäse oder Quark standen aber immer zur Verfügung; außerdem Milch, Dickmilch und Buttermilch, und das war schon viel.


Persons: Binde, Erwin
Places: Sechshelden · Berlin
Keywords: Reichsministerium des Innern · Lebensmittelversorgung · Getreide · Brot · Mehl · Viehfutter · Viehhaltung · Fleischversorgung · Kriegsessen
Recommended Citation: „Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918, Abschnitt 7: Verknappung der Lebensmittel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/14-7> (aufgerufen am 26.04.2024)