Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918

Abschnitt 6: Freistellung der Eisenbahner, Kriegsmusterungen

[43-44] Eisenbahner mußten nicht zum Militär

Für besonders wichtige Aufgaben, die Fachkenntnisse erforderten, wurden Männer als unabkömmlich zurückgestellt oder - wie ich gehört habe - sogar von der Front zurückgefordert. Sechshelden war in dieser Hinsicht begünstigt. Etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung der betroffenen Jahrgänge war bei der Reichsbahn [S. 44] beschäftigt. Das fahrende Personal, besonders die Lokomotivführer und Heizer, wurden restlos reklamiert, so nannte man das damals allgemein. Weiterhin galten die Bergleute und einzelne Facharbeiter in kriegswichtigen Betrieben als unabkömmlich. Man kann verstehen, daß die Familien, in denen die Männer zuhause sein konnten, beneidet wurden. Mein Vater war schon als Zwanzigjähriger wegen eines Knieschadens ausgemustert worden, und an diesem Befund hatte sich nichts geändert.

Außer dem Krankenhaus und dem Kurhaus wurden unter anderem auch so bekannte Gebäude wie das evangelische Gemeindehaus, das Schloßhotel, die Seminarturnhalle und die Volksschule zu Lazaretten umfunktioniert. Unsere Abbildung zeigt die damaligen provisorischen Unterkunftsräume für die Verwundeten.

Wie zwei Kriegsmusterungen 1917 im Dorf abliefen, habe ich miterlebt. Die Rekruten kamen von der Musterung in Dillenburg zurück. Sie waren mit grünem Zierrat und Firlefanzz geschmückt und hatten sich Schildchen angesteckt, auf denen die Waffengattung stand, für die sie gezogen waren, meistens Infanterie und Artillerie. Von großer Begeisterung war bei ihnen nichts mehr zu merken. Darauf führe ich es auch zurück, daß sie so stark betrunken waren und von einer Ecke in die andere torkelten. Von uns Kindern wurden die künftigen Soldaten ausgelacht. Daran fühlte ich mich später bei einigen Politikern erinnert, die von Journalisten ausgelacht wurden. So ätzend kann Kritik in Worten nicht sein. Unter denen, die gezogen wurden, waren auch einige, die schon mehrmals gemustert worden waren: die Ansprüche an die Tauglichkeit hatten sich im Laufe der Kriegsjahre gemindert.


Persons: Binde, Erwin
Places: Sechshelden · Dillenburg
Keywords: Eisenbahner · Reichsbahn · Bergleute · Kriegswichtige Betriebe · Krankenhäuser · Hotels · Schulen · Turnhallen · Lazerette · Verwundete · Musterungen · Infanterie · Artillerie
Recommended Citation: „Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918, Abschnitt 6: Freistellung der Eisenbahner, Kriegsmusterungen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/14-6> (aufgerufen am 27.04.2024)