Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 6: Abtransport von Kassel nach Arnstadt in Thüringen

[253-254]

Mitwochmorgen, den 16. September [16.9.1914]. Zum letzten Male sammelten sich die Kompagnien auf den alten Plätzen des Ortes und traten an zum Abmarsch. Zahlreich begleiteten uns die Wahlershäuser, die wir und die uns während der Zeit liebgewonnen hatten, zur Stadthalle, wo sich das Bataillon sammelte. Noch einmal wurde Abschied genommen von vielen Bekannten und von Dir, liebe Mutter. Dann plötzlich: „An die Gewehre!" Die Musik setzte ein und mit klingendem Spiel in festem Schritt ging's den bekannten Weg dem Bahnhof zu. Das war unser Ausmarsch aus der Heimat! Und die Sonne sang und rings um uns die wogende Menge, die uns mit Blumen und frohem Hoffnungsruf überschüttete. Noch einmal drängte sich alles an uns heran, als wir den Zug bestiegen. Und dann ging's fort, hinaus. . . .

Durchs Hessenland, das Fuldatal aufwärts trug uns der Zug hinein nach Thüringen. Allerorten, wo wir durchkamen, jauchzte man uns zu und gar zu gern hörten wir's, wenn man uns für Truppen hielt, die von der Westfront zur Ostfront befördert wurden.

Einmal wurden wir unterwegs, in Gerstungen1 war's wohl, warm gespeist, und bei dem Aufenthalte, der sich bot, nahmen wir tapferen Vaterlandsverteidiger Gelegenheit, die ersten Feldpostkarten an die Lieben daheim zu senden; oft wunderlichsten Inhalts, wie einer, der seiner Elisabeth schrieb, daß wir hier in Gerstungen warm verspeist wurden. . . .

[S. 254] Schon längst war es Nacht, als wir über Gotha in Arnstadt2 anlangten, dem lieblichen Thüringer-Städtchen, das für die nächsten Wochen unser Standort sein sollte. Fast hat es uns seltsam angemutet, daß bei unserm Einzug nicht mehr Bürger und Bürgerinnen zugegen waren; vielleicht, daß Arnstädter Sitte solches späte Begrüßen nicht zulassen konnte. . . . An der von hohen, rauschenden Pappeln gesäumten Uferstraße3 fanden wir den Appellplatz unserer Compagnie und empfingen dortselbst unsere Quartierzettel. Bald hatte ich mit W. und W. mein Quartier gefunden bei einer Witwe, die bei ihrer Schwiegertochter wohnte. Zwei Worte über mein Quartier. Die Leute gaben sich recht und schlecht alle Mühe, unsere Lage angenehm zu machen und vor allem unsern unergründlichen Magen annähernd zu füllen. Daß dies nicht immer gelang und am wenigsten mit den scheinbar in ganz Arnstadt üblichen Rotwurst-(Blutwurst-)Frühstücken, soll ihnen nicht als Schuld nachgetragen werden. ...


  1. Thüringischer Grenzort an der Bahnstrecke Bebra - Eisenach.
  2. Kreisstadt in Mittelthüringen, etwa 20 km südlich Erfurt.
  3. Arnstadt liegt am Flüsschen Gera.

Persons: Weidemann, Wilhelm
Places: Kassel · Wahlershausen · Fuldatal · Thüringen · Gerstungen · Gotha · Arnstadt
Keywords: Gewehre · Militärmusik · Eisenbahn · Augusterlebnis · Feldpost · Feldpostkarten · Quartierzettel · Einquartierungen · Rotwurst
Recommended Citation: „Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914, Abschnitt 6: Abtransport von Kassel nach Arnstadt in Thüringen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/138-6> (aufgerufen am 25.04.2024)