Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 2: Ausrüstung und Vorbereitungen zum Ausmarsch

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Ausmarsch der ersten Soldaten aus meiner Heimatstadt

Schon am zweiten Mobilmachungstage sollte eine Batterie des 11. Artillerieregiment1 ausrücken. Am Sonntag, den ersten Mobilmachungstage wurde fertig ausgerüstet, die Soldaten erhielten ihre feldgrauen Uniform, die besonders von allen Leuten bestaunt wurde, ihre lange Schuhe, die dadurch auffielen, daß sie nicht gewichst waren. Daher stammt auch der Witz: „Warum haben die Deutschen nicht gewichste Stiefel an?“ Antwort: „Die Wichse haben sie für die Feinde nötig“2. Ferner erhielten sie Tournister, Feldflaschen, Kochgeschirre, Säbel, die sich von den Friedenssäbel unterschieden, daß sie sehr scharf waren, und Karabiner. Am Nachmittag wurden die Geschütze aus dem Zeughaus geholt. An der Ausfahrt des Zeughauses hatten sich große Menschenmassen angesammelt, die alle die neuen Geschütze sehen wollten. Es war schön anzusehen, wenn jedesmal ein Geschütz mit [S. 6] sechs Pferden Vorspann in vollen Gallop heraus gefahren kamen. Die Geschütze fuhren dann auf den Kasernenhof. Auf dem Wege dorthin wurden die Geschütze von allen Seiten bewundert. Auf dem Kasernenhof wurden die Geschütze von den Offizieren besichtigt. Als nun alles in Ordnung war, gab der Batteriechef den Befehl: „Wegtreten!“ Die Soldaten waren nun froh, daß sie für diesen Tag fertig waren; denn es war an dem Tag sehr heiß gewesen.

Es war nun das letzte Mal, daß sie in ihrer Garnisonstadt auf Urlaub gehen durften; denn am folgenden Tag mußten sie schon das schöne Kassel verlassen. Einige, die aus der Stadt waren, gingen zu ihren Eltern, andere gingen mit ihren anderen Kameraden in der Stadt spazieren und feierten Abschied, und noch andere pakten ihren Sachen, damit alles zum folgenden Tag bereit war.

Am anderen Tag um 2 Uhr sollten sie nun ausrücken. Ich ging nun in die Kaserne, da ich einen [S. 7] Vizefeldwebel kannte. In der Kaserne war nun ein reges Treiben; denn alles mußte zum Abmarsch bereit gemacht werden. Hierbei waren besonders die Soldaten, die nicht ins Feld rückten, tätig. Sie mußten die Pferde anschirren, anspannen und tränken. Dann mußten sie das Gepäck in den Geschützen und Munitionswaren [!] verstauen. Als nun alles fertig war, hielt der Batteriechef eine Besichtigung ab. Danach hielt er eine Abschiedsrede und mit einem Hurra auf Kaiser und Reich und der Volkshymne „Deutschland, Deutschland über alles“ schloß die Rede. Der Chef reichte nun noch einem jeden Offizier die Hand und wünschte ihm ein gesundes Wiedersehen. Mit dem Lied: „Muß i den, muß i den zum Städtle hinaus“ rückten die Soldaten los.


  1. Das 1. Kurhessische Feldartillerie-Regiment Nr. 11 in Kassel. Die 1831 errichtete Artilleriekaserne lag in der Artilleriestraße (an der Stelle des früheren Klosters Ahnaberg, heute Max-Eyth- und Oskar-von-Miller-Schule.
  2. Wichse hier umgangssprachlich für Schläge, Dresche.

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Persons: Wiedemann, Klaus
Places: Kassel
Keywords: Mobilmachung · Artillerie · Kasernen · Uniformen · Tornister · Säbel · Karabiner · Geschütze · Pferde · Vizefeldwebel · Nationalhymne
Recommended Citation: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 2: Ausrüstung und Vorbereitungen zum Ausmarsch“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/13-2> (aufgerufen am 19.04.2024)