Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 7: Besichtigung eines Schützengrabens bei Kassel

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Besichtigung eines Schützengraben.

Durch den Stellungskrieg ist in diesem Kriege besonders der Schützengraben in den Vordergrund gekommen. Früher kämpfte man in einer ganz anderen Weise, als jetzt. Heute ist jeder Soldat darauf bedacht, möglichst1 dem Feind keine Zielscheibe zu bieten. Deshalb haben sich unsere Feldgrauen in „Schützengräben“ vergraben. Diese sind oft Kilometer lang. Auf jedem Kriegsschauplatz sind sie jetzt. Es gibt sogar solche, die gut auszementiert und bombensichere Unterstände haben. Diese wurden von gelernten Mauern gezimmert. In vielen Städten z.B. Berlin wurden Schützengräben von den Soldaten oder der Jugendwehr gebaut. Die freiwilligen Gaben für die Besichtigung der Schützengräben, kamen meistens dem „Roten Kreuz“ zu. Dadurch wurde das Roter Kreuz sehr viel unterstützt; denn die Schützengraben wurden viel besucht.

[S. 17] Auch bei uns in der Nähe von Kassel hatten die Gefangenen einen Schützengraben gebaut. Damit wir Schuljungen auch einmal eine Ahnung von einem Schützengraben bekamen, gingen wir eines Tages mit unseren Lehrer hin, um uns einen Schützengraben richtig anzusehen. Als wir dort ankamen, hatten wir gerade das Glück, daß ein Landsturmmann da war, der uns alles erklären konnte. Um uns dieses alles richtig zu erklären, sollten wir uns jetzt in die Lage versetzen, daß der Feind den Graben angreift. Er muß zuerst die Hindernisse überwinden. Das schlimmste von diesen sind die Wolfsgruben. Dieses sind Trichterförmige Löcher, die unten mit einem spitzen Pfahl oder Lanze auch oft mit einem abgebrochenen Säbel versehen waren. Das ganze Gelände war mit Stolperdraht überzogen, sodaß die Anstürmenden mit Leichtigkeit in die verdeckten Wolfsgruben fielen, oder auch sonst leicht zu Fall kommen konnten. Bei diesen Gelegenheit wurden [S. 18] sie dann abgeschossen. Hatten sie nun diese Wolfsgruben und Stolperdraht hinter sich, so mußten die das [!]Stacheldraht übersteigen, welches ein Meter über der Erde gespannt war und an Pfählen befestigt war. Ist es ihm nun gelungen, diese auch zu übersteigen, so kommt er auf die unterirdischen Minen, vorausgesetzt, sie sind nicht durch Artelleriefeuer zerstört worden. Wenn er nun schon soweit vorgedrungen ist, gelingt es ihm auch leicht in den ersten Graben zu kommen. Vor den Graben ist noch ein großes Netz gespannt zum Schutze der Handgranaten. Dieser Graben ist nicht so gut befestigt; denn hier ziehen sich die Soldaten gewöhnlich in den zweiten Graben zurück, der durch einen Laufgraben mit dem ersten verbunden ist. Dieser ist gerade so breit, daß ein Mann bequem durchgehen kann. Damit nun aber keine Stockungen eintreten, so sind alle 100 m ein Ausweichgraben. Hier müssen vorallendingen die Verwundeten ihren vorgehenden Kameraden ausweichen. Der zweite Graben ist aber sehr festverschanzt. Er ist auch ziemlich tief und war so tief, daß ein Soldat aufrecht gehen kann, ohne mit dem Kopfe über die Erde zu sehen. Hier sind auch die Schießscharte und die Brustwehr. Auch das Maschinengewehr hat hier seinen Platz. Am interessantesten sind hier noch die (Schützen) Unterstände. Man unterscheidet Mannschaft-, Offiziers- und Verbandtsunterstände. Die Mannschaftunterstände sind ziemlich groß. Mitten s[t]eht ein selbstgezimmerter Tisch und vier Bänke. Das ist [S. 19] das ganze Mobiliar dieses Unterstandes. Der Offiziersunterstand sah schon ganz anders aus. Damit jeder Soldat den Unterstand leicht fand hatte er den Namen „Fischerhäuschen“. In dem halbdunklen Raum stand ebenfalls ein selbstgezimmerter Tisch mit einer Bank. Die rauhen Lehmwände war aber mit allerlei Karten und Bildern geschmückt. In der Ecke befand sich dann noch ein „Periskop“. Dieses erfüllt den selben Zweck, was auch das Periskop auf den U-Boot verrichtet. Hier unten im Unterstande konnte man nämlich das ganze Gelände überschauen, so daß die Offizier von ihrem Unterstand aus den Feind beobachten konnten und von hier Befehle geben konnten. Auch befand sich hier der Verbandsunterstand. Er unterschied sich von den genannten Unterständen dadurch, daß er viel tiefer lag und mit Sandsäcken und Balken gut befestigt war, daß so leicht keine Granate durchschlagen konnte. Hier erhielten die Verwundeten ihr erstes [!] Notverband und wurden dann gleich mittels Tragbahre in das nächste Lazarett gebracht. Dieser zweite Graben war nun wieder mit2 einen dritten Graben durch den Laufgraben verbunden. Dieser lag ein ganzes Ende vom zweiten Graben entfernt. Hier befanden sich noch einige Unterstände und die Kochlöcher. Sie war sehr einfach gebaut. Man mußte nur darauf achten, daß der Wind von der richtigen Seite kam. Es kam nicht selten vor, daß durch das heftige Artelleriefeuer die „Gulaschkanone“ verhindert wurde, [S. 20] bis in die vorderste Stellung Essen zu bringen. Hier waren auch die „Latrinen“. Sie war sehr einfach, denn sie bestanden nur aus einer tiefen Grube und einem darüber gelegten Balken. War nun die Grube voll, so wurde sie zugeschüttet und eine neue gegraben. Wie ging nun die Eroberung des Graben weiter vor sich? War nun der zweite auch genommen, so wurde von diesem aus die ganze Stellung aufgerollt. Damit war der Gegner dann geschlagen. So habe ich mir ein kleines Bild vorstellen können, wie es wohl draußen in Feindesland aussieht.


  1. “nichts“ gestrichen.
  2. “durch“ in Klammern.

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Persons: Wiedemann, Klaus
Places: Kassel
Keywords: Schützengräben · Stellungskriege · Soldaten · Feldgraue · Jugendwehr · Rotes Kreuz · Gefangene · Landsturmmänner · Stolperdrähte · Artilleriefeuer · Handgranaten · U-Boot · Granaten · Lazarette · Feindesländer
Recommended Citation: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 7: Besichtigung eines Schützengrabens bei Kassel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/13-7> (aufgerufen am 18.04.2024)