Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916

Abschnitt 23: Abschnitt 23

[Sp. 285-]

[Fortsetzung: Die Kriegsmonate Februar und März 1915 in Biedenkopf. In: Mitteilungen aus Geschichte und Heimatkunde des Kreises Biedenkopf, 9. Jahrgang, Nr. 3, 1. Mai 1915, Sp. 285-288.]


Wieder gingen zwei Monate ins Land und aus dem Weltkriege 1914 ist längst ein Weltkrieg 1914/15 geworden. Die Liste der Biedenköpfer Krieger kann noch nicht geschlossen werden, weil immer neue Einberufungen erfolgen. Längst sind die „Vierziger" an der Reihe, Familienväter, Wirte, Ladenbesitzer und Handwerker — Leute, die niemals zweierlei Tuch getragen, müssen in ihren allen Tagen des Königs Rock anlegen, sie lernen „Wendungen" und „kloppen Griffe". Nun sind es schon 264 Männer, die von hier aus zu den Fahnen ausgerückt sind und weitere 45 Krieger zählen wir, die bei uns ihre Heimat haben. Ab und zu begegnen wir einem, Urlauber aus der Straße, dem gelegentlich eines Gefangenentransports ein Abstecher nach der Heimat erlaubt wurde. Auch Verwundete trifft man öfter, die einen Genesungsurlaub nach hier erhalten haben. Doch die meisten unserer Helden sahen seit der Mobilmachung ihre Heimat nicht wieder. Sie kämpfen unentwegt weiter, teils im Westen, teils im Osten; viele haben schon an beiden Seiten gestritten und sich Auszeichnungen geholt, manche aber auch ihr kühles Grab im Feindesland gefunden. Acht volle Monate sind seit dem Kriegsausbruch dahingeeilt, an die Stelle des goldumflossenen Sommers, dessen Freuden einen so jähen Abschluß fanden, trat die Herrschaft eines feuchten Herbstes, aus dem Herbst ward ein langer und harter Winter und aus ihn, will nun der Frühling erstehen, der die Welt gar bald wieder mit Blütenpracht und Sonnenschein umgeben wird und noch ist der Zeitpunkt nicht abzusehen, da unsere Feldgrauen ihren siegreichen Einzug in die Heimat halten werden. Acht volle Kriegsmonate haben wir gezittert und frohlockt, geweint und gelacht, gejauchzt und getrauert, wir sind den Kämpfen und Schlachten gefolgt, haben unsere Väter und Gatten, unsere Brüder und Söhne auf ihren blutigen Wegen begleitet, uns ihrer Siege gefreut, aber auch den Heldentod so manches tapferen Kriegers beklagt. Wir haben unsere Feldgrauen durch Worte der Liebe und Freundschaft aufgemuntert, haben sic erquickt und gelabt mit mancherlei Gaben und niemals aufgehört, ihrer in Dankbarkeit zu gedenken. Und wir wissen, daß all' die Versuche unserer Feinde, in unseren Kriegern das Bild der Heimat mit Mord und Brand auszulöschen, nutzlos und vergebens sein werden, denn wenn im feuchten Schützengraben, aus einsamem Wachtposten Füße, Augen und Ohren in strengstem Dienst gewappnet sind, wenn Tage zähen Ausharrens in Nacht und Unwetter ihre Geduld zu erschöpfen drohen, dann huschen die Gedanken unserer Helden in die Heimat, in unser friedlich-stilles Tal, in den Kreis der Familie, die sich um das Leben ihrer Lieben im Felde sorgt und in Unruhe verzehrt. Die Heimatliebe beseelt dann die unverdrossenen Kämpfer mit neuem Mut, und mit Zuversicht und Gottvertrauen geht es wieder vorwärts. Was unsere braven Feldgrauen beim Ausmarsch gelobt, das haben sie gehalten, sie haben ausgeharrt im Sturmgebraus und Kugelregen und sie werden ausharren furchtlos und treu, bis einst von den Türmen des ganzen Landes die Sieges- und Friedensglocken läuten werden. Ja, die Glocken! Sie haben in den vielen Monaten des Feldzugs schon manchmal über die Stadt hinweg ihren Ruf ertönen lassen, wenn große Erfolge errungen waren, und oft schon hat Heinrich Hacker, beseelt von vaterländischem Tatendrange, drunten unweit des Bahnhofsgebäudes seine Böller ins Tal gesandt, um weithin sieggekrönte Schlachten zu melden, aber das Ende des blutigen Ringens will noch immer nicht kommen. Dennoch, die Zuversicht ist ungeschwächt, auch wir, die daheim fast wie im Frieden leben, halten aus und tragen manche Unbequemlichkeiten, die uns die Behörden auferlegen, willig und ohne Murren. Am 5. März wurden die Brotbücher eingeführt, eine ebenso seltsame, wie notwendige Maßnahme, an die sich der Bürger schon gewöhnt hat. Nicht wie sonst kann man zum Bäcker gehen und beliebige Mengen von Brot entnehmen, das Gewicht ist festgesetzt für einen Jeden. Nur einen Leib von 3 ½ Pfund trägt es dem Ein¬wohner in der Woche, und wenn die Hausfrau für ihre Küche Mehlbedarf hat, wird die Brotmenge für je 1400 Gramm Mehl um einen Laib gekürzt. Es mag ein wenig knapp hergehen, aber es muß gehen und es geht. So hat der Krieg auch sein gutes. Er bringt eine große Wandlung in der Auffassung vom Wert des Brotes mit sich. Das Brot wird wieder in Ehren gehalten, es wird zu dem, was es von alters her war, zum lieben Brot, zum heiligen Brot.


Recommended Citation: „Karl Spieß, Die Mobilmachung in Biedenkopf und die Kriegsmonate bis März 1916, Abschnitt 23: Abschnitt 23“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/1-23> (aufgerufen am 26.04.2024)