Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Gedern Karten-Symbol

Gemeinde Gedern, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1689

Location

63688 Gedern, Lauterbacher Straße 14 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Seit 1356 besitzt Gedern Stadtrecht. Die Ortsherrschaft lag u.a. bei den Herren von Breuberg, Herren von Trimberg und den Herren von Eppstein-Königstein und ging 1535 an die Grafen von Stolberg-Wernigerode über. Diese, seit 1742 Fürsten, förderten aus wirtschaftlichen Erwägungen die Ansiedlung von Juden auf ihrem Territorium. Regelmäßig abgehaltene Märkte und die Erweiterung des Gederner Marktrechts durch den Grafen Ludwig II. von Stolberg-Wernigerode im Jahr 1555 boten weitere Ansiedlungsanreize.1 Nach 1806 ging die Landstadt im Großherzogtum Hessen auf.

Sterbelisten von 1689 belegen die frühe Ansiedlung von Juden am Ort. Offenbar war die Zahl der siedelnden Juden bereits so hoch, dass die Gründung einer jüdischen Gemeinde möglich war. Deren erster Vorsitzender, Jonas Hirtz, findet 1691 Erwähnung.2 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts lebten 12 jüdische Familienvorstände in Gedern3; um 1806 waren es 20 jüdische Familien. 1820 zählte die Gederner Judenschaft 155 Personen, rund 40 Jahre später war ihre Zahl auf 183 gestiegen (9,1 Prozent von 1961 Einwohnern).4 Während in den folgenden Jahren die Zahl der Gesamtbevölkerung nur leicht rückläufig war, fiel die Zahl der jüdischen Gederner bis zum Jahr 1910 auf 7,5 Prozent (136 Personen). Dennoch war der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu benachbarten Gemeinden sehr hoch.

Vermutlich entstand bereits im 17. Jahrhundert eine selbständige Synagogengemeinde in Gedern.5 Um 1858 war der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Nathan Stern I., neben ihm gehörten Simon Simon und Michael Heß zum Gemeindevorstand. Zu den Vorsitzenden der Synagogengemeinde um 1873 zählten Simon Simon, Michael Kahn und Löb Löb.6 Um 1924 und 1932 waren Maier und Leopold Vöhl sowie Max Rothenburger im Vorstand der jüdischen Gemeinde.7

Bis zum Beginn der gesetzlichen Gleichstellung lebten die Gederner Juden überwiegend vom Geldverleih, Handel mit Vieh, als Metzger und Branntweinhersteller.8 Während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lebten etliche jüdische Gederner als Kaufleute, z.T. mit Ladengeschäften von Metzgern und Bäckereien. Es gab jüdische Tapezierer, Schlosser, Uhrmacher und Schuster in Gedern.9 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitete ein jüdischer Seifenfabrikant in Gedern.10

Bereits in den 1930er Jahren litten die jüdischen Gederner unter den immer schlimmer um sich greifenden Terrorisierungen der Antisemiten im Ort. Einen traurigen Höhepunkt bildete ein Angriff der SA im Frühjahr 1933, bei dem etliche Gederner Juden beleidigt, verfolgt und zusammengeschlagen wurden.11 Infolge der sich durch die antisemitischen Repressalien immer weiter verschlimmernden sozialen und wirtschaftlichen Lage zogen alle Gederner Juden bis 1937 weg, was die informelle Auflösung der jüdischen Gemeinde bedeutete.12 Von mehr als 40 von ihnen kann belegt werden, wann und wo sie während der nationalsozialistischen Diktatur ermordet wurden.13 Am 14. Februar 1938 wurde das Ende des Synagogenbetriebes erklärt und die jüdische Gemeinde sechs Tage später offiziell aufgehoben.14

Betsaal / Synagoge

Bis um 1817 nutzten die Gederner Juden einen Betraum in der Untergasse 5. Das Gebäude wurde Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen und als Alternative ein für gottesdienstliche Zwecke nutzbarer Raum in einem Wohnhaus (früher Nr. 132) gefunden. Während des Nationalsozialismus war zeitweise hier das Parteilokal der NSDAP untergebracht; später wurde das Gebäude für die Errichtung eines Parkdecks abgerissen.15

Die jüdische Gemeinde erwarb um 1865 von ihrem Gemeindemitglied Nathan Aul die in der Lauterbacher Straße 14, der Hauptdurchgangsstraße, gelegene Hofreite (ehemals Nr. 143, danach Hauptstraße 78), die Aul 1840 gekauft hatte. Sie ließ diese abbrechen und 1866 auf dem Grundstück sowie einem hierfür ebenfalls angekauften weiteren Grundstück die neue Synagoge errichten.16 Trotz der sie umgebenden, eher unbescheidenen Bebauung durch Wohn- und Geschäftshäuser, fiel das mit dem Giebel zur Straße stehende Gotteshaus aufgrund seiner besonderen Architektur ins Auge.17

Die über einem Grundriss von etwa 12,90 x 8,80 Metern errichtete Synagoge war ein unverputzter zweigeschossiger Massivbau aus Basalt-Werksteinen mit Satteldach. Im Südosten, der Schauseite, schloss ein Dreiecksgiebel die Fassade ab. Oberhalb der etwa zwei Meter hohen, im Südosten einmal abgetreppten Sockelebene folgte die dreigeteilte vertikale Wandgliederung. Im Straßenbild exponierten die Eck- und Wandlisenen, die hochrechteckigen, rundbogigen Fenster sowie deren besondere Rahmung den Bau. Die Spiegel um die drei zur Mittelachse hin gestaffelt eingebauten Fenster des Schaugiebels schlossen etwa auf Höhe des Hauptgesimses bzw. im Giebeldreieck in Kielbogenform. Im Bogenbereich des mittleren Feldes war ein Rundfenster eingebaut. Den Giebel krönten an beiden Enden auf geschweifte Sockel gestellte, mit Wulst abschließende steinerne Obelisken. Die Giebelspitze war mit steinernen Gesetzestafeln verziert. Der Zugang für Männer und Frauen erfolgte über einen schmalen, leicht ansteigenden Fußweg auf der nordöstlichen Traufseite. Die Traufe war ebenfalls vertikal gegliedert und im Hauptgesimsbereich von Lisenenanfängern markiert.

Über die innere Gestaltung ist leider wenig überliefert. Es ist von einem Synagogensaal mit einer vermutlich dreiseitig umlaufenden Frauenempore auszugehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit stand der ↑ Aron Hakodesch vor der Südostwand, vermutlich durch ein Podest erhöht. Um 1903 wurde das Gebäude renoviert.18 Um 1938 war der Betsaal mit einem Terrazzoboden versehen.19 Ferner befanden sich ein Schulraum, eine Vierzimmer-Wohnung für den Lehrer sowie eine im Keller gelegene Mikwe in dem Gebäude.

Das repräsentative Gotteshaus, das mit den gemeindlichen Nutzräumen einen annährend vollständigen Synagogentypus darstellt, kann als Ausdruck einer selbstbewussten jüdischen Gemeinde um die Jahrhundertmitte gewertet werden, als der Anteil der jüdischen Gederner rund 9 Prozent betrug und somit deutlich über dem Durchschnitt vergleichbarer jüdischer Landgemeinden in Mittelhessen lag. Die Bauherren bedienten sich aus dem Kanon historisierender Formen des orientalischen und romanischen Stils und dokumentierten damit eine Eigenständigkeit, wie sie seit den 1860er Jahren im deutschen Synagogenbau anzutreffen war und spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts aus orthodoxen Gemeinden der Region (z.B. Marburg, W. Spahr und der orthodoxen Religionsgesellschaft Gießen) bekannt ist.

Im Zusammenhang mit Übertragungsplänen, die unter dem Druck der antisemitischen Anfeindungen aus der Bevölkerung entstanden waren, den Gemeindebesitz an den Landesverband in Mainz zu übertragen, legte der Gemeindevorsitzende Leopold Vöhl dem Kreisamt in Schotten die Bewertung des Synagogengebäudes aus dem Brandkataster vor. Demnach wurde dem Synagogengebäude 1937 ein Brandkatasterwert von 16.770 RM zugeschrieben. Die jüdische Gemeinde wäre bereit gewesen, das Gebäude für 7.000 RM an die Stadt Gedern zu verkaufen. Zum Verkauf kam es nicht. Am 14.10.1937 wurde das gesamte Mobiliar durch eine Möbelfirma abgeholt, sein Verbleib ist unklar. Am 25.10.1937 fiel der Gemeindebesitz an das Land Hessen. Nach einigen Verhandlungen erhielt 1937 die Gederner Bank das Synagogengebäude während die politische Gemeinde für 2.500 RM die jüdischen Friedhöfe erwarb. Die Nutzung der Synagoge durch die Bank sowie die anschließende Nutzung als Gaststätte verursachten eine massive bauliche Überformung des Gebäudes.20 Seit 2008 dient die ehemalige Synagoge als Wohngebäude.

Die äußere Erscheinung des Hauses hat sich bis auf die verbliebenen Lisenen stark verändert. Der ehemals vorhandene Charakter eines Gotteshauses ist verloren; eine Erinnerungstafel existiert nicht.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Die Mikwe der jüdischen Gemeinde befand sich im Keller unter der Lehrerwohnung. Aufgrund weiter fortschreitender hygienischer Verbesserungen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts u.a. durch die Einrichtung von Waschräumen und Bädern in Privathaushalten stattfanden, nahm die Nutzung der Mikwe in der Synagoge ab. Offenbar wurde die Mikwe seit den 1920er Jahren nicht mehr benutzt. Nach Aufgabe der Mikwe wurde der Raum als Kohlenkeller genutzt. Hierdurch änderte sich seine äußere Gestalt. Unter anderem verringerte sich die Raumhöhe.21

Schule

Mit der Errichtung der Synagoge 1866 waren Räume für Religionsunterricht und Gemeindeversammlungen gegeben. Nachdem 1904 die Juden aus Gedern, Ober-Seemen und Wenings einen Schulverband gegründet hatten, wurden alle ihm angehörenden jüdischen Kinder in Gedern unterrichtet.22

Cemetery

Bereits vor 1720 begruben die Gederner Juden ihre Verstorbenen auf dem ihnen zugestandenen Gelände (= alter Friedhof), das um 1830, vermutlich aufgrund der steigenden Zahl von Gemeindemitgliedern, auf der anderen Seite der Straße erweitert wurde (= neuer Friedhof). Eine weitere Ausdehnung erfolgte 186323, die letzte Beerdigung fand 1936 statt.24

Gedern, Alter Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Gedern, Neuer Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Gedern, Alter Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen
Gedern, Neuer Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Heß, Michael · Löb, Löb · Kahn, Michael · Nathan Stern I. · Stolberg-Wernigerode, Grafen von · Vöhl, Leopold · Simon, Simon · Samuel, Samuel

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine

Sachbegriffe Architektur

Frauenemporen · Lisenen · Obelisken

Fußnoten
  1. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 18 f.
  2. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 19 f., 204
  3. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 30
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 238; Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 45 ff.
  5. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 20; Ortsartikel Gedern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  6. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 84 ff.
  7. Ortsartikel Gedern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  8. Lummitsch: Jüdisches Leben in Gedern, S. 26 f.
  9. Ortsartikel Gedern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  10. Seifenfabrikant Samuel Samuel zu Gedern, 1905, in: HStAD P 11, 5172
  11. Ortsartikel Gedern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  12. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 238
  13. Gedenkstätte Yad Vashem (s. Weblink)
  14. Aufhebung der Synagoge in Gedern, 1936–1946 in: HStAD H 14 Schotten, G 87
  15. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 209
  16. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 209
  17. Historische Ansicht bei Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 206
  18. Ortsartikel Gedern auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  19. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 205
  20. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 203 ff.
  21. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 124, 207
  22. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 238
  23. Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 210
  24. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 239; Lummitsch, Jüdisches Leben in Gedern, S. 210
Recommended Citation
„Gedern (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/2> (Stand: 22.7.2022)