Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Zwingenberg Karten-Symbol

Gemeinde Zwingenberg, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1401

Location

64673 Zwingenberg, Wiesenstraße 5 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

In Zwingenberg können bereits im späten Mittelalter Juden nachgewiesen werden. Dies waren 1401 Schonmann aus Worms, Moses und Isac, wobei letzterer der Schwiegervater von Moses war.1 Es darf auch für die folgenden Jahrhunderte von einer jüdischen Einwohnerschaft ausgegangen werden. Wie andernorts auch wurde sie durch Landgraf Georg I. des Landes verwiesen, doch schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts wieder geduldet.2

1647 wurden Gumpel, David, Joseph, Baruch und Eysig namentlich genannt. 1648 hatte zudem Abraham Mosse eines der Burghäuser gemietet.3 1663 mussten sie die Stadt abermals verlassen, aber schon 1690 war wieder ein jüdischer Metzger ansässig. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden nur sporadisch Namen genannt. Als 1812 Juden bürgerliche Namen annehmen mussten, waren dies David Moses (neu: David Bergsträßer), Anschel Moses (neu: Anschel Breitenbach), Moses und Bär David (neu: Moses und Bär Mainzer).4 Bis 1829 zogen die Familien Spieß aus Hähnlein, Rothensis aus Bischofsheim sowie Wachenheimer und Bentheim aus Auerbach zu.5

Bis 1858 bildeten die in Zwingenberg wohnenden Juden mit denen aus Alsbach, Bickenbach, Hähnlein und Jugenheim eine Gemeinde, deren Synagoge seit 1778 in Alsbach, in der heutigen Hauptstraße 19 stand. Im Oktober dieses Jahres erhielten sie die Genehmigung, eine eigene Gemeinde bilden zu dürfen. 1861 erwarb die noch junge Gemeinde ein Haus, um es als Synagoge einzurichten. Zu diesem Zeitpunkt lebten 14 Familien mit insgesamt 78 Personen in der Stadt.6

Die Gemeinde gehörte dem Rabbinat II Darmstadt an und bestattete ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach.

Die Zahl der Gemeindemitglieder ging in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter zurück. Nachdem die Synagoge in Bensheim-Auerbach nicht mehr genutzt wurde, besuchten die dort wohnenden Personen zum Teil den Gottesdienst in Zwingenberg. Trotzdem gab es 1933 noch 40 Gemeindemitglieder.

Am 18. Juni 1938 kam es zu Übergriffen, als nachts drei Schüsse in das Schlafzimmer des Ölhändlers Weisenbach abgegeben wurden.7 Dies, anhaltende Repressalien und der Boykott ihrer Geschäfte veranlasste einige Betroffene, teilweise in die Städte, teilweise nach Übersee zu emigrieren. In der Pogromnacht wurden außer der Synagoge auch private Wohnungen überfallen und die Einrichtungen zerstört. 16 Personen wurden im Holocaust ermordet.

Betsaal / Synagoge

Bis 1858 besuchten die Zwingenberger Juden die Synagoge in Alsbach. Nach Gründung einer eigenständigen Gemeinde erwarb diese 1861 das Haus Ritzert am Stadtbrunnen (Am großen Berg 2). Dort richtete sie im Erdgeschoss die Lehrerwohnung und im Obergeschoss die Synagoge ein, die am 3. August 1861 von Landesrabbiner Dr. Julius Landsberger feierlich eingeweiht wurde. Eigentlich war sie für 72 Gemeindemitglieder zu klein. Nach Rückgang der Anzahl der Gemeindemitglieder auf 56 Personen im Jahr 1900 entspannte sich die Situation jedoch wieder.

Am 11. Oktober 1902, Jom Kippur, brach während des Gebetes in der Synagoge ein Feuer aus. Die Brandversicherung zahlte 125 Mark Schadensersatz aus. Zwischenzeitlich stellte Bürgermeister Zerweck einen Raum im Rathaus zur Verfügung. Da dies aber keine dauerhafte Lösung war und der Raum bald wieder geräumt werden musste, entschied sich die Gemeinde für einen Synagogenneubau in der Wiesenstraße. Die Planung übernahm der Bauaspirant Schuch. Der erste Spatenstich erfolgte am 6. April, am 11. September war die feierliche Einweihung in Anwesenheit des Darmstädter Rabbiners Dr. Marx und von Honoratioren aus Politik und Gesellschaft.

Das stattliche zweigeschossige und traufständige Gebäude überragte die Nachbarbebauung. In der straßenseitigen Fassade betonten fünf hohe, mit Rundbogen versehene Fenster die Fassade, ein geschweifter Giebel mit den beiden Gesetzestafeln, einem Davidstern und dem Jahr der Einweihung den Haupteingang. Mit horizontalen Bänderungen und Gliederungselementen greift es die typischen Elemente der Backsteinarchitektur der Zeit um 1900 auf.

Den östlichen Bereich nahm der eigentliche Synagogenraum ein, der sich über beide Geschosse erstreckte. Links und rechts des Mittelganges standen die Bänke und Pulte mit Blick auf den Thoraschrein. Die Thoranische war blau mit goldfarbenen Sternen ausgemalt. Unmittelbar darüber war ein kleines rundes Fenster eingebracht. Über dem Synagogenraum erhob sich eine dreiseitige Empore. Abermals darüber wölbte sich die Decke und bildeten drei einfache Stuckrosetten den Himmel.

Im westlichen Bereich des Hauses lag eine Zweizimmerwohnung, die zumeist an Christen vermietet war, damit diese am Sabbat die notwendigen Arbeiten verrichten konnten. Auf der gleichen Ebene befand sich eine Schulstube. Das Obergeschoss nahm die Wohnung des Vorsängers und Religionslehrers ein.

Der westliche Bereich des Gebäudes ist unterkellert. Die Kellerhöhe beträgt etwa 2,4 Meter. Ob sich hier eine Mikwe befand ist nicht bekannt.8

Das Gartentor ist einer Menora nachgebildet.

Nachdem seit den 1920er Jahren die Synagoge in Bensheim-Auerbach nicht mehr benutzt wurde, besuchten einige der dort wohnenden Personen den Gottesdienst in Zwingenberg.

1928 ließ die Gemeinde das Innere neu streichen und einige bauliche Reparaturen durchführen. Frau Spieß stiftete einen neuen Thoravorhang, Frau Bendheim einen schönen Kronleuchter und Frau Mosbacher aus Darmstadt einen neuen Thoramantel.9

Wie überall versuchten in der Pogromnacht auch in Zwingenberg Nazischergen in die Synagoge einzudringen. Nur weil die am Tag zuvor verstorbene Mutter des christlichen Mieters in dessen Wohnung aufgebahrt war, wurde eine Zerstörung verhindert. Trotzdem wurden Scheiben eingeworfen und die Tafeln mit den zehn Geboten sowie dem Zitat über dem Eingang ebenso abgemeißelt, wie die Davidsterne aus den Vorgartenpfosten. Die Kultgegenstände waren bereits zuvor nach Frankfurt am Main ausgelagert worden.10 Bereits einen Tag später veröffentlichte das Bergstraße Anzeigeblatt den Verkauf des Anwesens für 6.000 Reichsmark an die Eheleute Karl Heim.11 Der Kaufvertrag wurde am 15. Dezember 1938 ausgefertigt.

Weil der Verkaufspreis deutlich unter dem Verkehrswert lag, gingen die Eigentumsrechte 1950 an die JRSO über. Die bisherigen Besitzer erhielten ein Vorkaufsrecht, das sie auch wahrnahmen. Später erhielten sie einen Teilbetrag auf den zuerst geleisteten Kaufpreis zurückerstattet.12

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene Baumaßnahmen durchgeführt, die das Äußere erheblich beeinflussen.

Der 1999 gegründete Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge versucht, das Gebäude einer angemessenen öffentlichen Nutzung zuzuführen.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Zwar war mit dem Kauf des Hauses und der Einrichtung der Synagoge 1861 vorgesehen, dort auch eine Mikwe einzurichten, allerdings konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass es eine solche Einrichtung auch tatsächlich gab. Eine 1924 geborene Zeitzeugin berichtete, dass es in Zwingenberg keine Mikwe gab, sondern man bei Bedarf die Mikwe in Alsbach aufsuchte.13

Schule

Zu diesem Aspekt wurde nur eine kleine Notiz bekannt. So erwähnt ein 1827 an den Landrat in Bensheim gerichtetes Schreiben, dass die in Zwingenberg „wohnenden Judenkinder die Volksschule nicht besuchen und keinen eigenen Lehrer haben“.14

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem Friedhof in Alsbach bestattet, auf dem sich 94 Zwingenberger Grabstätten der Zeit von 1692 bis 1932 erhalten haben.

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Kilthau, Synagogen, 3
  2. Chronik von Zwingenberg, S. 347
  3. HStAD E 13, 2413
  4. Möller, Geschichte, S. 106
  5. Chronik von Zwingenberg, S. 376
  6. Kilthau, Synagogen, S. 5
  7. Kilthau, Unter uns, S. 46
  8. Kilthau, Synagogen, S. 20
  9. Kilthau, Synagogen, S. 27
  10. Kilthau, Synagogen, S. 29
  11. HHStAW 518, 1218
  12. Kilthau, Synagogen, S. 35
  13. Kilthau, Synagogen, S. 5/6 (Fußnote12)
  14. Chronik von Zwingenberg, S. 378
Recommended Citation
„Zwingenberg (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/60> (Stand: 22.5.2023)