Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Steinheim Karten-Symbol

Gemeinde Hanau, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1335

Location

63456 Hanau, Stadtteil Steinheim, Ingelheimstraße 12 | → Lage anzeigen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der heutige Hanauer Stadtteil Steinheim setzte sich ursprünglich aus zwei Siedlungsstellen zusammen. Bei Klein- oder Nieder-Steinheim, zunächst ein Fischer- und Handwerkerdorf, entstand ab etwa 1200 auf einem nahegelegenen Höhenrücken ein Schloss, um das sich Groß- oder Ober-Steinheim bildete. 1320 erhielt der Ort in Besitz der Herren von Eppstein Stadtrechte. 1425 kam er an Kurmainz und 1803 an das Großherzogtum Hessen. Erst 1938 wurden beide Gemeindeteile zu Steinheim zusammengeführt, das seit 1974 Stadtteil von Hanau ist.

1335 erhielt Gottfried von Eppstein das Privileg, in Stadt und Burg Steinheim zehn jüdische Familien ansiedeln zu dürfen, die aber schon wenig später den Judenpogromen zum Opfer fielen oder vertrieben wurden. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts werden Juden auch namentlich wieder erwähnt. 1380 war es Grasche, 1390 Lewe, 1390 Liebmann und wenig später Salman.1

Nach dem Übergang Steinheims an Mainz liegen für lange Zeit keine gesicherten Nachweise vor.

Dies änderte sich erst wieder im 17. Jahrhundert, als die Familien Benjamin, Faist und Herz in Steinheim ansässig waren. Zu dieser Zeit gab es im Ort noch die Judengasse (heute: Harmoniestraße), wobei aber nicht nachgewiesen ist, dass alle Juden dort leben mussten. Dort werden die älteste Mikwe und die Schule vermutet und dort wird in einem Privathaus ein Betraum bestanden haben.

Im 18. Jahrhundert traten die Familien Samson, Berle, Callmann und Löw Bär hinzu, so dass für das auslaufende 18. Jahrhundert acht bis zehn Familien angenommen werden können.

1826 besaßen sechs jüdische Familien jeweils ein Haus, teilweise mit Scheune, zudem gab es eine „Juden Schul“. Hausbesitzer waren Löb Herz, Isak Berberich, Elias Herz Witwe, Michel Meyer, Abraham Mayer und Michel Michel Meyer.2 Zur jüdischen Gemeinde zählten seinerzeit auch die in Hainstadt, Dietesheim und Klein-Auheim lebenden Juden. Zu dieser Zeit lebten etwa 34 jüdische Personen im Ort. Bis 1850 stieg die Zahl auf 50 und 1871 auf 67, was einem Anteil von 4 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Jeweils drei von ihnen waren als Metzger und Viehhändler tätig, darüber hinaus gab es zwei Handelsmänner, einen Hausierer, einen Fruchthändler, einen Sattler, einen Manufakturwarenhändler und einen Ellenwarenhändler.3 Mit 91 Personen erreichte die jüdische Einwohnerschaft 1892 ihren höchsten Stand.

Im Ersten Weltkrieg fielen zehn jüdische Kriegsteilnehmer aus der Steinheimer Gemeinde.

Lag die Zahl der jüdischen Einwohner 1919 noch bei 84, sank sie bis 1933 auf 45 ab. Sie lebten überwiegend von ihren oben aufgeführten Berufen, allein die Diamantschleiferei von Aron Meyersohn stellte eine einzigartige Ausnahme dar.

Mit dem 1. März 1933 setzen die Boykotte gegen jüdische Kaufleute ein. In den beiden folgenden Jahren kam es dennoch nur vereinzelt zu Abwanderungen. Bis Oktober 1935 lebten noch 39 Juden in der Stadt, drei Jahre später waren es 23.4

Am 10. November 1938 wurden nach der Zerstörung der Synagoge auch Privathäuser überfallen, die Einrichtungen zerschlagen und Menschen misshandelt. Bis Ende August des gleichen Jahres waren fünf Juden in der Stadt verblieben. Zwei von ihnen konnten noch auswandern, die übrigen wurden deportiert und ermordet.

Seit 2011 werden in Steinheim Stolpersteine verlegt.

Louis Meyer-Gerngroß:

Louis Meyer-Gerngroß wurde 1861 in Steinheim geboren und führte eine Steingutfabrik in Mannheim, mit der er zu Wohlstand kam. Anlässlich seines 25jährigen Betriebsjubiläums stiftete er 1911 für Steinheim ein Friedensdenkmal, das sein Freund, der Bildhauer Professor Georg Busch, seinerzeit in München, entwarf und gestaltete. Es war das erste Friedensdenkmal in Deutschland und fand auf dem Marktplatz, heute Platz des Friedens, Aufstellung.5 Nach Beschädigungen 1938 wurde es 1940 abgerissen und die Metallteile eingeschmolzen. 1965 konnten die fehlenden Stücke ersetzt und das Denkmal am alten Platz wieder aufgestellt werden. Seit 1980 erinnert eine zusätzliche Tafel an die jüdischen Opfer des Holocaust aus Steinheim und Klein-Auheim. Anlässlich der Denkmaleinweihung erhielten Louis Meyer-Gerngroß und Georg Busch die Ehrenbürgerwürde der Stadt, zudem wurde nach Meyer-Gerngroß eine Straße benannt.

Betsaal / Synagoge

Mit Erteilung des Privilegs von 1335, zehn Juden in Stadt und Burg Steinheim ansiedeln zu dürfen, wird auch die Einrichtung eines Betraums oder einer Synagoge einhergegangen sein, denn die Mindestzahl der geforderten zehn erwachsenen Männer war damit erreicht. Gleiches gilt für das ausgehende 18. Jahrhundert.

Den gesicherten Nachweis eines Betraums gibt es allerdings erst für den Anfang des 19. Jahrhunderts. Bis 1816 traf sich die Gemeinde im Haus der Vorfahren von Moses Selig, das die heutige Anschrift Neutorstraße 6 trägt. In der Zeit danach diente das ehemalige Amtshaus im Schlosshof, das sogenannte Dammwärterhaus, als Schul- und Bethaus.

1860 baute sich die Gemeinde eine neue Synagoge in der Wenkstraße 7. Über einem Sockel aus Bruchsteinen erhob sich eine mit Backsteinen ausgemauerte Fachwerkkonstruktion. Das Zeltdach wurde von einem Davidstern bekrönt. Der Zugang lag in der Nordwand, darüber befand sich innen die Frauenempore. An der gegenüber liegenden Südseite soll sich der Thoraschrein befunden haben. Die Ost- und die Westwand waren mit langgestreckten Rundbogenfenstern versehen. 1876 erhielt die Gemeinde eine neue Thorarolle, die mit einem prächtigen Festzug in die Synagoge gebracht wurde.

Um 1900 wurde das Gebäude an einen Christen verkauft und als Scheune genutzt; der Kaufvertrag soll die Klausel enthalten haben, im Innern keine Schweine zu halten.6 Im Jahr 1970 wurde das Gebäude abgebrochen.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die bisherige Synagoge zu klein geworden und die Gemeinde plante den Bau einer neuen. Aus Mangel an Bauplätzen musste dafür in ein Neubaugebiet an der damaligen Schulstraße ausgewichen werden. Ein Teil der Finanzierung wurde aus Sammlungen und Verlosungen gedeckt. Die Grundsteinlegung war 1899, die feierliche Einweihung des nach Plänen des Baurats Georg Gottlieb Schneller errichteten Baus erfolgte am 16. März 1900.

Diese Synagoge ähnelte sehr der 1902/03 erbauten Synagoge in Egelsbach: Die straßenseitige Traufwand wird durch einen seitlich versetzten, risalitartig hervortretenden Eingangsbereich betont, der im Gegensatz zum Stufengiebel in Egelsbach einen rundbogigen oberen Abschluss aufweist. In Steinheim lag der sich über beide Geschosse erstreckende Gemeinderaum links des Eingangs, rechts davon befand sich im Erdgeschoss das Schulzimmer, darüber die Lehrerwohnung. Der südlichen Giebelwand trat ein kleiner Anbau für den Thoraschrein vor. Der Gemeinderaum war an beiden Wänden mit jeweils drei langgestreckten Rundbogenfenstern mit Buntglasscheiben versehen. Im Inneren erstreckte sich über dem Eingang und entlang der Ostwand die Empore. Der Thoraschrein war ein Werk des Steinheimer Bildhauers Professor Georg Busch.7 Links und rechts der Thora stand jeweils ein Kandelaber mit je vier Lampen. An einer der Seitenwände befand sich eine Gedenktafel für die zehn im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitglieder.

Anfang der 1930er Jahre gehörten in die Steinheimer Synagoge der Thoraschrein, ein Predigerpult, je ein Betpult für den Rabbiner und für den Vorbeter, Gestühl für 100 Mitglieder, fünf Wandleuchter, zwei silberne Leuchter, ein Kronleuchter, ein Almemor, fünf Thorarollen, vier Thorakronen, ein Zeiger, ein Thoraschild, vier Thoramäntel, 50 Thorawimpel, vier Decken, acht Vorhänge, ein Megiloth Esther, ein Schofaroth, 50 Talessim, 50 Chumaskim, zehn Siddurim, zehn Machsorim, ein Weinbecher, eine Hawdalahgarnitur, ein Menoroth, zwei Teppiche und ein Läufer.8

Am 10. November 1938 wurde auch die Synagoge überfallen, die Einrichtung zerstört und die Trümmer samt dem Leichenwagen auf einem Acker verbrannt. Wohl mit Rücksicht auf das im Dachgeschoss wohnende christliche Hausmeisterehepaar sah man von einer Brandschatzung ab. Die Kultgegenstände und Schriften wurden dagegen ein Raub der Flammen.

Zum 1. Februar 1939 verkauften die letzten Vorstandsmitglieder die Synagoge für 8.400 RM. Vom Kaufpreis wurden 3.000 RM sofort ausgezahlt, der Rest sollte an die Reichsvereinigung der Juden überwiesen werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Zuge eines Vergleichs weitere 6.000 DM an die JRSO gezahlt. Der Umbau in ein Wohnhaus erfolgte 19529 und zerstörte jeden architektonischen Hinweis auf die frühe Bedeutung.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Seit 1842 bestand eine Männerkrankenkasse, die bei Krankheiten Unterstützung gewährte und bei Todesfällen die Zeremonien verrichtete.

Seit 1895 gab es einen Synagogenchor.

Zum 600jährigen Stadtjubiläum im Jahr 1920 richtete Louis Meyer-Gerngroß eine Stiftung ein, aus deren Erträgen jährlich Katholiken, Protestanten und Juden Zuwendungen erhielten.

Mikwe

Es ist wahrscheinlich, dass es in der frühen Neuzeit in der Judengasse eine Mikwe gab.10 Als Standort wird das Haus Harmoniestraße 16 (früher Judengasse) vermutet, dessen Erdgeschoss 1643 erbaut wurde und möglicherweise lange Zeit im Besitz der Familie Herz stand.11

Gesichert ist, dass in der 1900 erbauten Synagoge eine Mikwe bestand.12= HHStAW 518, 1383

Schule

Vermutlich gab es in der Judengasse bereits im 14. Jahrhundert eine Schule.13

Im ausgehenden 19. Jahrhundert besuchten jüdische und christliche Kinder gemeinsam den Unterricht der allgemeinen Fächer. Allein der Religionsunterricht fand nachmittags getrennt nach Konfessionen statt. Dazu beschäftigte die jüdische Gemeinde bereits seit etwa 1800 einen eigenen Lehrer. In der 1900 erbauten Synagoge gab es ebenfalls einen Schulraum.

Cemetery

1799 richtete die jüdische Gemeinde einen Friedhof an der damaligen Offenbacher Landstraße, heute Darmstädter Straße, ein. Zum Friedhofsverband gehörten auch die in Klein-Auheim, Hainstadt, Dieteskirchen, Weiskirchen, Hainhausen, Jügesheim und Mühlheim lebenden Juden.

Ende des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Stadt deutlich nach Süden aus und benötigte neues Bauland. Die Nachbarbebauung war schon dicht an den Friedhof herangerückt und als 1914 die Bülowstraße, heute Dalbergstraße, verlängert werden sollte, sollte damit auch ein Teil des Friedhofs überbaut werden. Dieses Ansinnen wies die jüdische Gemeinde weit von sich und es kam zu einer langwierigen Auseinandersetzung, die erst 1933 zum Abschluss kam. Gleich in der ersten Sitzung des Gemeinderats nach der Wahl am 23. Mai 1933 beantragte die NSDAP den Weiterbau der Straße in einer Breite von zehn Metern. Nachdem dieser Antrag allgemeine Zustimmung der politischen Vertreter gefunden hatte, wurde der Friedhof bis 1935 abgeräumt und darauf eine Grünfläche angelegt. Zusätzlich wurde 1936 das Denkmal für die Gefallenen des Krieges 1870/71 vom Obertor auf diesem Platz versetzt. Die Mehrzahl der Grabsteine wurde zerstört oder als Baumaterial verwendet. Nur wenige konnten auf den Neuen Friedhof an der Odenwaldstraße umgesetzt werden.14 Später wurde hier eine Grünfläche angelegt und die Umfassungsmauer auf ihre jetzige Höhe abgetragen.

Nach der Schließung des Friedhofs zum 1. Oktober 1892 wurde der neue Friedhof eröffnet. Zum neuen Friedhofsverband gehörten nur noch die Gemeinden Steinheim, Hainstadt, Dietesheim und Klein-Auheim. Der neue Friedhof liegt am südlichen Rand der Odenwaldstraße. Eine Besonderheit ist, dass er mit einer Ecke in den Straßenverlauf hineinragt. Es sind 76 Grabstätten vorhanden, die letzte Bestattung fand am 10. August 1938 statt. An der Südmauer stehen zudem einige Grabsteine vom alten Friedhof. Auch er wurde am 10. November 1938 geschändet.

1987 fanden abermals Schändungen durch Beschmieren statt.

Steinheim a. M., Alter Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Steinheim a. M., Neuer Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Eppstein, Herren von · Eppstein, Gottffried von · Grasche · Lewe · Liebmann · Salman · Benjamin · Faist · Herz · Samson · Berle · Callmann · Löw Bär · Herz, Löb · Berberich, Isak · Herz, Elias, Witwe · Meyer, Michel · Mayer, Abraham · Meyer, Michel Michel · Meyersohn, Aron · Moses Selig · Schneller, Georg Gottlieb · Busch, Georg · Meyer-Gerngroß, Louis

Places

Klein-Steinheim · Nieder-Steinheim · Groß-Steinheim · Ober-Steinheim · Hanau · Mainz · Hainstadt · Dietesheim · Klein-Auheim · Steinheim, Burg · Egelsbach · Mannheim · München · Jügesheim · Mühlheim · Steinheim, Männerkrankenkasse · Steinheim, Synagogenchor

Sachbegriffe Geschichte

Hessen, Großherzogtum · Mainz, Kurfürstentum · Stolpersteine · Erster Weltkrieg · Friedensdenkmäler · NSDAP

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Thorarollen · Kandelaber · Gedenktafeln · Predigerpulte · Betpulte · Vorbeterpulte · Wandleuchter · Leuchter · Kronleuchter · Almemore · Thorakronen · Zeiger · Thoraschilde · Thoramäntel · Thorawimpel · Decken · Vorhänge · Megillot · Schofarot · Talessim · Chumaskim · Siddurim · Machsorim · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Menorot · Teppiche · Läufer · Leichenwagen

Sachbegriffe Architektur

Sockel · Bruchstein · Backstein · Fachwerk · Zeltdächer · Davidsterne · Frauenemporen · Rundbogenfenster · Risalite · Stufengiebel · Buntglas

Fußnoten
  1. Henke, 2003, S. 24
  2. Henke, 2003, S. 92
  3. Henke, 2003, S. 103
  4. Henke, 2003, S. 259
  5. Henke, 2003, S. 179
  6. Henke, 2003, S. 108
  7. Henke, 2003, S. 158
  8. HHStAW 503, 7386
  9. HHStAW 518, 1382
  10. Imgram, 1931, S. 70
  11. Henke, 2003, S. 55
  12. Imgram, 1931, S. 70
  13. Henke, 2003, S. 168
Recommended Citation
„Steinheim (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/131> (Stand: 23.7.2022)