Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Steinbach Karten-Symbol

Gemeinde Fernwald, Landkreis Gießen — Von Susanne Gerschlauer und Hanno Müller
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1674

Location

35463 Fernwald, Ortsteil Steinbach, Garbenteicher Weg 1 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

In den Jahren 1264/65 übernahm die Landgrafschaft Hessen Burg und Herrschaft Gießen, zu der neben anderen Orten die durch Rodung des Wiesecker Waldes entstandenen Dörfer, unter ihnen auch Steinbach im Gericht Garbenteich, ab 1442 Gericht Steinbach genannt, gehörten.1 Nach 1806 war Steinbach Bestandteil des Großherzogtums Hessen, Provinz Oberhessen. Damit war der weitere historische Weg vorgegeben.

Die jüdische Bevölkerungsgeschichte von Steinbach ist zuletzt von Hanno Müller umfassend aufgearbeitet und belegt worden.2 Hierauf gründen sich die folgenden Ausführungen.

Erster in Steinbach erwähnter Jude war Seligmann Katz. Er übernahm nach 1674 die an die Steinbacher Kirche zu entrichtenden Abgaben einer Hofreite, die zuvor Reichard Pitz gehörte. Seligmann ist auch später genannt: 1708 und 1709 pachtete er eine Wiese des Deutschen Ordens und verkaufte 1709 einen Zugochsen an den Verwalter des deutschen Ordens auf dem Schiffenberg. 1774 werden zwei Steinbacher Juden zur Zahlung einer Kirchenstrafe verurteilt, und auch 1790 werden zwei jüdische Familien in Steinbach erwähnt.

1828 lebten in Steinbach fünf jüdische Familien mit insgesamt 38 Personen, 1861 wohnten 93 Juden in Steinbach (ca. 10 Prozent der Bevölkerung). Der Streit um das Ortsbürgerrecht für die jüdischen Steinbacher zog sich von 1848 bis in das Jahr 1856 hin; zum Schutz der Juden wurden von Ostern bis Pfingsten 1855 zwei Gendarmen in Steinbach stationiert. Das Verhältnis zwischen Christen und Juden verbesserte sich aber und von 1879 bis 1885 gehörte Mayer Katz II dem Gemeinderat an.3 Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen zog die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg aus Steinbach weg. Von 1861 bis 1905 verringerte sich ihre Zahl um mehr als zwei Drittel von 93 auf 27. Im Jahr 1910 lebten nur noch 28 jüdische Steinbacher im Ort, 1939 schließlich nur noch eine jüdische Frau, die mit einem Christen verheiratet war.

Die jüdische Gemeinde bestand vermutlich schon seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Gerson Katz I war 1839 Vorsteher der Synagogengemeinde. Salomon Strauß ist als erster Lehrer der jüdischen Gemeinde in den Jahren 1826 und 1827 belegt.4 Der Lehrer David Stern wechselte nach Kirtorf und verabschiedete sich im November 1857 mit einer Anzeige im Anzeigenblatt von seinen Freunden und Bekannten und "insbesondere von der Gemeinde Steinbach".5 Die zuletzt noch in Steinbach wohnenden Juden gehörten 1925 der liberalen Jüdischen Gemeinde in Gießen an.6 Die Steinbacher Juden lebten vom Viehhandel, dem Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Branntwein und der Likör- und Essigherstellung.7

Zehn in Steinbach geborene Juden, die aber im Dritten Reich nicht mehr in Steinbach wohnten, fielen dem Holocaust zum Opfer.8 Henriette Fischer geb. Löwenberg lebte in einer christlichen Ehe. Sie wurde am 14. Februar 1945 zusammen mit 26 anderen jüdischen Männern und Frauen nach Theresienstadt deportiert. Am 29. Mai 1945 wurde sie nach Kriegsende von Dr. Werner Schmidt aus Lang-Göns, ihrem Sohn Karl Fischer, der vom 5. Mai 1943 bis zum 17. Mai 1945 selbst im KZ-Buchenwald inhaftiert war, und Kurt Bohling aus Gießen mit zwei Pkw und einem Feuerwehrauto der Stadt Gießen unter der Flagge des Roten Kreuzes zusammen mit anderen nach Hause gebracht.9

Betsaal / Synagoge

Die Synagoge von Steinbach wurde 1812 zunächst als Wohnhaus von Samuel Katz im Garbenteicher Weg 1 gebaut.10 Bis 1818 muß eine Umnutzung des Wohnhauses zu einer Gemeindeeinrichtung erfolgt sein, denn im Brandkataster wird das Haus bereits als „Schul der Judenschaft“ mit einer Versicherungssumme von 300 Gulden ausgewiesen.

Während der Nutzung durch die Jüdische Gemeinde erfuhr das Gebäude mehrere Umbauten. In den Brandkatastern wird das Gebäude 1818 und 1844 als "Schule" bezeichnet, 1854 dann als "Synagoge 2 Stock, mit Einschluß der Männerstühle im 1. und der Emporbühne für die Frauen im 2. Stock, sowie des Altars". Zur Finanzierung des Umbaus hatte die Jüdische Gemeinde 1846 eine Hypothek von 500 Gulden eintragen lassen, die 1860 wieder gelöscht wurde. Die Versicherungssummen in den Brandkatastern betrugen: 1818: 300 Gulden; 1854: 500 Gulden; 1866: 1.000 Gulden; 1874: 1.400 Gulden. Bis 1895 verringerte sich die Versicherungssumme auf 1.890 Mark (= 1.110 ½ Gulden) und das Gebäude wurde als "Schulhaus (Synagoge), 1 Stock" bezeichnet.11

Das ca. 5,40 m x 5,40 m Grundfläche umfassende verputzte Fachwerkhaus mit Walmdach stand etwa 20 Meter hinter der Straßenflucht zurück, am westlichen Ortsrand außerhalb des Ortskerns etwa 500 Meter von der Ortsmitte mit der evangelischen Kirche entfernt. Über das Erscheinungsbild des Gebäudes ist kaum etwas überliefert. Aussagefähige Bilddokumente sind nicht bekannt. Es ist möglich, dass die Dachmitte einen Davidsternaufsatz oder einen runden Knauf bekrönte. Offenbar wies das Gebäude ansonsten nur einfache bzw. keine Außengliederung auf, die Zeitzeugen nicht als bemerkenswert in Erinnerung blieb.

Es gab zwei Zugänge in das Gebäude, einen an der östlichen Hofseite, vermutlich für die Männer, und einen von der südlichen aus. Die 1854 erwähnte Frauenbühne erreichte man über eine Treppe im Inneren. Wahrscheinlich war der Gottesdienstraum an Decke und Wänden farbig gestaltet.12 Bis um 1910 wurden Gottesdienste abgehalten. Anschließend besuchten die jüdischen Steinbacher die liberale Gießener Synagoge. Im Oktober 1919 wurde das Synagogegebäude an Karl Fischer und Henriette geb. Löwenberg verkauft und diente danach bis zu seinem kompletten Umbau zum Wohnhaus nach 1945 als Schreinerwerkstatt.

Am 9. November 1938 versuchten Nationalsozialisten, die ehemalige Synagoge anzuzünden. Die Brandstiftung wurde rechtzeitig entdeckt, und das Feuer konnte gelöscht werden, ohne Schäden zu hinterlassen.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Nach einer unbestätigten Überlieferung sollen jüdische Frauen eine Stelle an dem kleinen Bach im "Hosenloch" rechts der Straße nach Albach für Waschungen genutzt haben.13 Im Keller des Hauses Rathausplatz 24, das sich von 1842 bis 1907 in jüdischem Besitz befand, befindet sich ein ummauertes, allerdings unverputztes Becken, zu dem einige steinerne Stufen herabführen. Es könnte sich dabei um ein rituelles Tauchbad handeln, doch fehlen darüber bislang genauere Angaben.14

Cemetery

Bis 1884 beerdigten die Steinbacher Juden ihre Toten auf dem Sammelfriedhof im 15 Kilometer entfernt gelegenen Großen-Linden. Am 26. April 1884 erwarb die jüdische Gemeinde Steinbach zwei Äcker „Am Weingarten“, um dort einen jüdischen Friedhof anzulegen. Den Friedhof umgab eine wohl bald nach seiner Gründung errichtete Bruchsteinmauer von insgesamt 120 Metern Länge. Der Zugang folgte von der heutigen Straße "Am Weingarten" aus. Im Laufe der Nutzungsjahre wurde auf dem Friedhof eine Gerätehütte aus Holz gebaut.15

Während der Pogromnacht 1938 wurde der Friedhof von SA-Männern aus dem Ort und aus Gießen verwüstet und die Gerätehütte angezündet. Nach Kriegsende wurden die noch vorhandenen Grabsteine in der Mitte zu einem großen Haufen zusammengetragen. 1954 stellte man sie wenig fachgerecht an der Mauer entlang der heutigen Goethestraße und zu dem Nachbargrundstück auf, da die Lage der früheren Gräber nicht mehr festgestellt werden konnte.

Das Gelände umfasste ursprünglich 854 Quadratmeter und lag außerhalb des Ortes. 1919 ging der Friedhof in das Eigentum der Israelitischen Gemeinde Gießen über, seit 1960 ist der Landesverband der Jüdischen Gemeinden Hessens der Eigentümer. 1963 schlossen die Gemeinde Steinbach und der Landesverband einen Vertrag, in dem der eigentliche Begräbnisplatz auf 183 Quadratmeter verkleinert, 571 Quadratmeter an die Gemeinde verpachtet und als Grünanlage gestaltet und ein Streifen von drei Metern Breite an die Gemeinde für das geplante Neubaugebiet abgegeben wurden.16

Der Friedhof enthält heute noch 13 Grabsteine bzw. Bruchstücke von Grabsteinen.17 Älteste Bestattung ist die von Mayer Katz II, der am 3. August 1885 verstarb. Ein Grabsteinfragment ist erhalten. Der jüngste erhaltene Grabstein (Fragment) stammt von Fanny Katz, verstorben am 22.12.1928. Von der am 17.4.1931 verstorbenen und zuletzt auf dem Friedhof begrabenen Elisabeth Löwenberg geb. Kahn ist der Grabstein nicht mehr erhalten.

Seit November 1988 erinnert ein Gedenkstein auf dem Friedhof an die Pogrome der NS-Zeit. Zum Gedenken an die zehn in Steinbach geborenen Opfer der NS-Zeit wurde zudem im Jahr 2008 auf dem Kirchenvorplatz eine bronzene Gedenkplatte mit ihren Namen und der Anschrift ihres Geburtshauses auf einem Sockel eingeweiht. Dort ist zusätzlich ein christliches Opfer der Euthanasie vermerkt.18

Steinbach (Fernwald), Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

  • Steinbach, Gemeindearchiv XIII/5
  • Die Quellen sind insgesamt umfassend ausgewertet bei H. Müller, Juden in Steinbach, 2010.

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Knauß, Landkreis Gießen, S. 67; Stumpf, Garbenteich, S. 20
  2. Müller, Steinbach, S. 4 ff.
  3. Müller, Steinbach, S. 65
  4. Müller, Steinbach, S. 24 f. zu Vorsteher und Lehrer; hier auch alle weiteren Religionslehrer
  5. Müller, Steinbach, S. 80, nach dem Anzeigeblatt für die Stadt und den Landkreis Gießen, Nr. 2431, vom 7. Nov. 1857
  6. Müller, Steinbach, S. 25
  7. Müller, Steinbach, S. 17 ff.
  8. Müller, Steinbach S. 34
  9. Müller, Pohlheim, S. 9 Anm. 2
  10. Allgemein Müller, Steinbach, S. 25 f. Zur Lage der Synagoge ebd. S. 177, mit Abb. Dok. Nr. 70: Lageplan von 1905, Gemeindearchiv Steinbach
  11. Müller, Steinbach, S. 25
  12. Müller, Steinbach, S. 25. – Haas, Urzeit der Heimat, S. 30, schrieb über das Aussehen im Jahre 1930: "... An den oberen Wänden waren noch Reste von Malereien und Symbolen zu erkennen."
  13. Dies äußerte ein Heimatforscher 1925 in einem Brief an den Steinbacher Pfarrer Köhler. Philipp Lindenstruth, Dorfmüller in Beuern, berichtet von einer ähnlichen Überlieferung aus Buseck-Beuern.
  14. Müller, Steinbach, S. 25 f.
  15. Müller, Steinbach, S. 27 ff.
  16. Gemeindearchiv Steinbach, XIII/5
  17. Müller, Steinbach, S. 82-105: Die hebräischen Grabsteininschriften und ihre Übersetzung, bearb. von Friedrich Damrath
  18. Müller, Steinbach, S. 32-36, S. 174
Recommended Citation
„Steinbach (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/393> (Stand: 29.4.2022)