Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Messel Karten-Symbol

Gemeinde Messel, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1474

Location

64409 Messel, Holzhäuser Gasse 20 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1972

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Im 15. Jahrhundert gehörte Messel in den Herrschaftsbereich der reichsritterlichen Familie Groschlag von Dieburg, die eine vergleichsweise liberale Judenpolitik betrieb. Deswegen stammt der älteste Hinweis auf einen in Messel lebenden Juden bereits aus dem 15. Jahrhundert: 1474 wurde der aus Mainz stammende Gumprecht verhaftet, weil er das Judenabzeichen nicht trug. Unter Folter gestand er, Meyer aus Messel habe ebenfalls Christenkleider getragen.1

Zu den in der Herrschaft lebenden Juden gehörte 1600 Joseph, der in diesem Jahr einen Antrag stellte, nach Hochstadt umzuziehen und sich in den Schutz der dortigen Grafen zu begeben. Ob diesem Gesuch stattgegeben wurde, ist heute nicht bekannt.

Erst für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg sind jüdische Einwohner im Ort sicher belegt. So hatte 1654 der in Messel lebende David 20 Reichstaler Strafe zu bezahlen, weil er nachts in eine Scheune eingebrochen war und einige Gegenstände gestohlen hatte. 1708 erwarb Simon ein altes Haus an der Bruchgasse. Dieser Simon wird nicht der einzige in Messel lebende Jude gewesen sein, denn bereits 1705 erscheint in der Messeler Sonntagsordnung die Formulierung, die „einwohnendten Juden zu Messel“. Der hier verwendete Plural weist darauf hin, dass es sich um mehrere Familien gehandelt hat. Auch wenn für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts keine verlässlichen Zahlen vorliegen, so weist die große Zahl der auf dem Verbandsfriedhof in Dieburg Bestatteten auf eine starke Zunahme der jüdischen Bevölkerung in Messel.2 1780 hatten 19 Familien aus Messel Schutzgeldleistungen zu entrichten. Bei gleichzeitig 90 christlichen Familien entspricht dies nur wenig unter 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Der Legende nach gab es in der Zeit um 1800 eine hohe Sterblichkeit vor allem junger Leute im Ort. Der deswegen kontaktierte Michelstädter Ba´al Schem Seckel Löb Wormser konstatierte eine fehlerhafte Thora. Nachdem der Fehler behoben worden war, hörten die Todesfälle auf.3

Erste zuverlässige Bevölkerungszahlen liegen aus dem Jahr 1813 vor. Seinerzeit lebten 169 christliche Familien mit 663 Mitgliedern und 19 jüdische Familien mit 81 Mitgliedern im Ort. Neun jüdische Familien besaßen ein eigenes Haus. Alle erwirtschafteten ihr Einkommen aus Handelstätigkeiten.4 Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich zunächst noch zögerlich die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung. Einer der ersten, der nicht im Bereich Handel tätig war, war Merkel. Zunächst diente er als für lange als Zeit Soldat, um 1855/56 eine feste Anstellung bei der Ludwigsbahn zu erhalten, auch weil er als einziger Bewerber lesen und schreiben konnte. Er war somit der erste jüdische Beamte aus Messel.5

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl jüdischer Einwohner wieder ab, um 1907 bei 35 zu liegen. Im Ersten Weltkrieg dienten fünf jüdische Soldaten aus Messel, einer von ihnen fiel in Galizien. Die Überlebenden erhielten noch im Januar 1935 das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer.6 Nach einem kurzen Anstieg der Zahl jüdischer Einwohner im Jahr 1919 auf 42 Personen sank sie weiter auf 24 im Jahr 1924. 1933 lag sie bei 23 Personen. Nach den beginnenden Repressalien und Boykottmaßnahmen während des Nationalsozialismus konnte die überwiegende Mehr der jüdischen Einwohner Messels fliehen.

Die eigentliche Pogromnacht verlief in Messel ruhig. In der daran anschließenden Nacht überfielen und plünderten Nationalsozialisten Wohnungen und verschleppten ihre jüdischen Einwohner in das örtliche Spritzenhaus. Während Frauen und Kinder nach Hause gehen durften, wurden die Männer in das Gefängnis nach Darmstadt verbracht und eine Zeit lang inhaftiert.

Zehn Juden aus Messel wurden im Holocaust ermordet.

Der wohl bekannteste jüdische Bewohner von Messel war der Architekt Alfred Messel (1853-1909). Er entwarf in Darmstadt das Landesmuseum, seine Hauptwirkungsstätte war allerdings Berlin, wo er unter anderem das Kaufhaus Wertheim baute und bei der Gestaltung der Museumsinsel und des Wiederaufbaus des Pergamonaltars maßgeblich beteiligt war.7

Am 1. Juni 1996 setzte die Gemeinde einen Gedenkstein „Zum Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus“. Am 16. Oktober 2016 wurden Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

1739 erwarb die jüdische Gemeinde Messel ein Grundstück, um darauf eine Synagoge zu bauen.8 Damit gilt sie als eine der ältesten Dorfsynagogen im späteren Großherzogtum Hessen. Es handelte sich um einen Fachwerkbau mit Satteldach, Vorhof zur Straße und einer Einfriedung9. Das Gebäude war 8 Meter lang, 6,3 Meter tief und 4,2 Meter hoch. Der Innenraum mit Empore war von einem Tonnen- oder Muldendach überwölbt. Seitlich lag die Mikwe und darüber ein kleiner Schulraum.10 Das Haus wurde zum 26. August 1938 für 750 Reichsmark an einen christlichen Nachbarn verkauft, weshalb es die Pogromnacht unbeschädigt überstand. Die Kultgegenstände waren zuvor nach Darmstadt ausgelagert worden. Nach dem Krieg zahlte der neue Besitzer 900 Mark nach.

Trotz bereits um 1950 konstatierter statischer Probleme wurde das Gebäude bis zu seinem Abriss 1972 als Scheune und Lager genutzt.11

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Mit dem Bau der Synagoge um 1740 entstand auch eine Mikwe, die spätestens 1972 mit dem Abbruch des Gebäudes verschwand.

Schule

Gleichzeitig mit dem Bau der Synagoge um 1740 entstand auch eine Schule. Der erste namentlich bekannte Lehrer war 1841 Moses Diefenbach.12 Er war gleichzeitig Vorbeter und Schochet.

Cemetery

Seit 1681 bestatten die Gemeindemitglieder ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Dieburg. Allein in den Jahren zwischen 1720 und 1740 wurden 14 Männer, sieben Frauen und 38 Kinder dort bestattet.13

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Groschlag von Dieburg, Familie · Gumprecht · Meyer · Joseph · David · Simon · Seckel Löb Wormser · Merkel · Messel, Alfred · Diefenbach, Moses

Places

Mainz · Hochstadt · Dieburg · Michelstadt · Galizien · Darmstadt · Berlin

Sachbegriffe Geschichte

Dreißigjähriger Krieg · Ba’al Schem von Michelstadt · Ludwigsbahn · Erster Weltkrieg · Ehrenkreuz · Pogromnacht · Schochet · Hessen, Großherzogtum

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Satteldächer · Vorhöfe · Einfriedungen · Tonnendächer · Muldendächer · Emporen

Fußnoten
  1. Lange, 1997, S. 10
  2. 1200 Jahre Messel, S. 186
  3. 1200 Jahre Messel, S. 187
  4. 1200 Jahre Messel, S. 194
  5. 1200 Jahre Messel, S. 197
  6. 1200 Jahre Messel, S. 207
  7. Wenchel, 1997, S. 15
  8. 1200 Jahre Messel, S. 189
  9. Altaras, 2007, S. 289
  10. HHStAW 503, 7380
  11. Lange, 1997, S. 96
  12. 1200 Jahre Messel, S. 195
  13. 1200 Jahre Messel, S. 186
Recommended Citation
„Messel (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/102> (Stand: 23.7.2022)