Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5121 Schrecksbach
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 63. Schrecksbach
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Merzhausen Karten-Symbol

Gemeinde Willingshausen, Schwalm-Eder-Kreis — Von Barbara Greve
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1600

Location

34628 Willingshausen, Ortsteil Merzhausen, Ziegenhainer Straße 30 | → Lage anzeigen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1951

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das Dorf Merzhausen, im Mittelalter ein Lehen der Reichsabtei Hersfeld in der Hand der Grafen von Ziegenhain, gelangte im Erbgang anteilig an die landgräflich hessische Beamtenfamilie Schetzel zu Merzhausen (bis 1676), danach an die Familie von Hattenbach, und die niederadelige Familie von Weitershausen. Die mit Merzhausen belehnten niederadeligen Familien werden die Ansiedlung von Juden erheblich gefördert haben. Gleiches gilt für die Nachbargemeinde Willingshausen, deren jüdische Bevölkerung zur Synagogengemeinde Merzhausen zählte. Nach der Hessischen Gebietsreform gehört Merzhausen seit 1974 zur Ortsgemeinde Willingshausen.

Eine Ersterwähnung von Juden erfolgte im Jahr 1600. Seit 1647 lebten fünf Juden in Merzhausen. Jüdische Einwohner werden nun fortlaufend genannt.1 Der Index Nominum des Katasters von 1737 weist vier Juden auf herrschaftlicher und sechs Juden auf Seiten derer von Weitershausen aus.2 Die Hessische Judenstättigkeit von 1744 nennt ebenfalls 10 Juden, worunter zunächst nur das Familienoberhaupt zu verstehen ist. Hinzu kommen zwei Juden in Willingshausen, mit dem Merzhausen eine Kultusgemeinde bildete.3 1816 lebten elf jüdische Männer mit ihren Frauen und 26 Kindern in Merzhausen, drei Familien in Willingshausen sowie je eine Familie in Schrecksbach und in Wasenberg.4 1837 waren es unter den 633 Einwohnern Merzhausens 72 Juden in 12 Familien, hinzu kamen 45 Juden von Willingshausen und 27 von Schrecksbach, also insgesamt 147 Seelen.5 1875 war die Zahl der erwachsenen Juden in Merzhausen bereits auf 42 gesunken, und 1905 lebten nur noch 39 Juden in Merzhausen, 27 in Willingshausen und sechs in Schrecksbach. 1924 zählte die Gemeinde 35 Personen in 14 Haushalten. Das waren bei etwa 800 Einwohnern Merzhausens 4,75 Prozent. Hinzu kamen 21 Personen aus Willingshausen und fünf aus Schrecksbach.

Die jüdische Bevölkerung der Synagogengemeinde Merzhausen, bestehend aus den Ortschaften Merzhausen, Willingshausen und Schrecksbach, ist im 19. Jahrhundert aus den erhaltenen Geburts-, Heirats- und Sterberegistern für den Zeitraum von 1824 bis 1911 gut belegt.6 Die Register sind in Arcinsys digital einsehbar.

1933 lebten noch etwa 20 Personen jüdischen Glaubens in sieben Familien in Merzhausen sowie fünf Familien in Willingshausen und eine Familie in Schrecksbach. 1939 gab es neun jüdische Einwohner in Merzhausen, von denen sieben deportiert und ermordet wurden. Sechs Juden mit dem Wohnort Merzhausen und weitere 17 Juden mit dem Geburtsort Merzhausen wurden gleichfalls deportiert. Aus Willingshausen waren es insgesamt 10 Juden und aus Schrecksbach zwei.7

Aus Merzhausen überlebte Salomon Spier die Haft in Theresienstadt. Er starb nach seiner Rückkehr in seinen Heimatort mit 83 Jahren am 29. November 1947. Rudolf Spier, der bei seiner Eheschließung zum christlichen Glauben übergetreten war, überlebte ebenfalls. Nach seiner Rückkehr aus dem KZ Theresienstadt war er Bürgermeister in Uschlag, bevor er seinen Lebensabend in Merzhausen verbrachte. Liebmann Spier, welcher ebenfalls aus Merzhausen stammte, starb 1952 in Treysa.

Die Kultusgemeinde war orthodox ausgerichtet. In den Gemeinderechnungen des frühen 19. Jahrhunderts findet sich eine Notiz über Schlagbäume mit Seilen, welche den Radius angaben, in welchem sich fromme Juden am Sabbath bewegen durften.8 Ein Wohltätigkeitsverein (Chewras Gemilus Chassodim) und ein Israelitischer Männerverein kümmerten sich um die sozialen und rituellen Belange, beispielsweise bei Beerdigungen.

Betsaal / Synagoge

Eine Betstube hat es mit Sicherheit seit den Anfängen jüdischen Lebens im Ort gegeben, vielleicht sogar eine eigene kleine Synagoge. Darauf deutet zumindest die folgende Notiz hin. Als die Synagoge 1814 erbaut wurde, lieh sich die Gemeinde 600 Reichstaler Kapital zu 3½ Prozent von dem reichen Leimbacher Bauern Johannes Süßmann „zum Bau der neuen Synagoge“. Diese Schulden belasteten die arme Gemeinde über Jahrzehnte.

Als Bauplatz stand nur die kleine Grundstücksfläche hinter der Schule zur Verfügung.9 Die Grundfläche des einstöckigen Fachwerkbaus mit einem Sandsteinsockel betrug deshalb nur 7,7 m x 7,5 m. Damit fügte sich die Synagoge gut in ihre Umgebung ein. Die Innenausstattung bestand aus zehn knapp drei Meter breiten Männerbänken ohne Brüstung sowie einer Frauenempore und einem Thoraschrank. Über die Dachkonstruktion liegen keine Angaben vor, regional üblich wäre jedoch ein blau gestrichenes Muldengewölbe mit goldenen Sternen. Im Brandkataster von 1901 wurde der Wert des Gebäudes auf 2000 Mark geschätzt, der der Bänke auf 60 Mark, die Empore auf 300 Mark und der Thorasachrank ebenfalls auf 60 Mark.10 Seit 1850 besaß die Kultusgemeinde ein eigenes Backhaus.11

In den Rechnungen der Gemeinde für 182812 wurde noch keine eigene Thorarolle verzeichnet, obwohl man eine solche mit Sicherheit besaß. Nur ein Mahlkasten für das Mazzenmehl zu Pessach fand Erwähnung. Erst 1856 wird ausführlicher über das Gemeindevermögen berichtet: Neben dem schon erwähnten Mahlkasten besaß die Gemeinde nun bereits drei Thorarollen, eine Megilla, vier Glasleuchter und einen Messingleuchter, ein Schofarhorn, einen goldbestickten Vorhang vor dem Thoraschrein sowie zwei einfache Vorhänge, neun Thoramäntelchen, zwei „Altar“-Decken für das Vorlesepult, eine Totenbahre und ein Leichentuch. Im Jahre 1870 wurden 63 Synagogenstände an Gemeindemitglieder aus Merzhausen, Willingshausen und Schreckbach verpachtet. Das brachte 38 Taler 12 Silbergroschen für den Gemeindehaushalt. Im Jahre 1938 soll es nach Angaben einer aus Merzhausen stammenden Zeugin 60 Männerplätze und 35 Frauenplätze gegeben haben.

In der Pogromnacht November 1938 wurde die Synagoge ausgeraubt und im Inneren teilweise zerstört. Inwieweit die als Raubgut genannten zahlreichen Kultgegenstände tatsächlich vorhanden waren, kann nicht gesagt werden. Die Angaben scheinen jedoch für die arme Gemeinde stark überhöht.13 In der Folge der Pogromnacht musste das Synagogengebäude zwangsweise verkauft werden. Über das Abrissdatum liegen divergierende Angaben vor (1947/1951).

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Ein Frauenbad befand sich im Haus Nr. 61, welches an einen Wassergraben grenzte. Es soll sich um ein gemauertes Becken gehandelt haben. Das Haus wurde bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts abgerissen. 1836 werden in den Gemeinderechnungen noch 150 Reichstaler Schulden für die Anlage respektive den Neubau eines Frauenbades erwähnt.

Schule

Bereits 1822 gab es ein eigenes Schulhaus, welches häufiger Reparaturen an Dach und Dielen bedurfte. Die Fachwerkkonstruktion des Untergeschosses deutet auf eine Erbauung im 18. Jahrhundert hin. Das zweistöckige Gebäude hatte eine Grundfläche von 4,7 m x 8,2 m. Im Untergeschoss befand sich die Schulstube, welche für die durchgehend etwa 25 Schüler nur knapp 20 Quadratmeter groß war.

Nachdem das Schullokal seit 1841 über mehr als ein Jahrzehnt hinweg in den Visitationsprotokollen des Provinzialrabbiners Gosen sowie des örtlichen Pfarrers Gundlach als gänzlich unbrauchbar, ungesund und unfreundlich bezeichnet wurde, dessen Tische gebrechlich und dessen Ofen defekt seien, musste man eine Lösung finden. Die Finanzen der armen Gemeinde gestatteten keinen Neubau, so dass 1853 ein geräumigerer und vor allem hellerer Schulsaal von gut 30 Quadratmetern für jährlich 15 Reichstaler von der Witwe Lins gemietet wurde. Schulsaal und Lehrerwohnung befanden sich nun an entgegengesetzten Enden des Dorfes. Als das Lins´sche Haus verkauft wurde, musste das Schulzimmer umgehend geräumt werden. Es sollte nun ein Raum im christlichen Gemeindehaus zur Verfügung gestellt werden, doch der Gemeinde wurde auferlegt, innerhalb von zwei Jahren eine dauerhafte Lösung zu finden.

Im November 1899 wurde ein Bauprogramm zum Umbau des alten Schulhauses erstellt und in der Folge das kleine Schulgebäude sowohl um ein Gefach verlängert als auch das Obergeschoss um ein Gefach aufgestockt, um durch höhere Fenster eine hellere Schulstube zu schaffen. Die Lehrerwohnung wurde in das Untergeschoss verlegt. Die Schmuckgestaltung des Fachwerks im Obergeschoss ist zeitgemäß, jedoch regional untypisch. Im Dezember 1900 war der Umbau abgeschlossen.14

Der Schullehrer übte, wie in kleinen Gemeinden üblich, neben der Unterrichtstätigkeit das Amt des Vorbeters in der Synagoge aus. 1816 wird Simon Seelig aus Hammelburg als Schullehrer genannt, welcher mit seiner Familie seit Mai 1815 in Merzhausen lebte. Da er ohne Schutz war, wurde ihm auferlegt, diesen innerhalb von drei Monaten zu erwerben, anderenfalls müsse er das Land verlassen.

Die Besoldung der Lehrer war äußerst dürftig. So erhielt Ascher Spier 1836 jährlich 90 Reichstaler bei freier Wohnung und freiem Lehrsaal, jedoch ohne Brennmaterial. Moses Kaufmann brachte seine fünfköpfige Familie neben der Lehrtätigkeit mit Schneiderarbeiten durch. Von den Zuständen in christlichen Schulen unterschied sich die Situation nur durch die bessere Ausbildung der jüdischen Lehrer an eigenen jüdischen Lehrerbildungsanstalten. Moses Fleischhauer beispielsweise hatte diese in Rotenburg/Fulda mit Erfolg besucht. 1846 erhöhte sich die Lehrerbesoldung auf immer noch unzureichende 100 Reichstaler, doch selbst diese geringe Summe stellte eine schwere Belastung für die arme Gemeinde dar. Die Lehrer nach Ascher Spier 1836 sind namentlich bekannt.15 Zwischen 1879 und 1886 musste die Schule geschlossen werden, da die schrumpfende Gemeinde das Lehrergehalt nicht mehr aufbringen konnte.

1924 gab es nur noch acht schulpflichtige Kinder, zu Beginn der dreißiger Jahre waren es nur noch sieben. Am 1. Juli 1931 wurde das Kultusamt von der Lehrerstelle getrennt.16 Im Mai 1934 wurden die Schulen des Kreises durch die Nationalsozialisten geschlossen. Die etwa fünf noch verbliebenen jüdischen Schüler mussten nun die christliche Schule besuchen. In der Pogromnacht 1938 wurden Teile der Inneneinrichtung des Schulhauses zerstört.

Cemetery

Der jüdische Friedhof in Merzhausen wurde 1843/44 angelegt und in Benutzung genommen.17 Zuvor wurden die Toten in Ziegenhain-Niedergrenzebach beerdigt. Zuletzt wurde 1947 ein Jude aus Merzhausen dort beerdigt, der die Deportation der NS-Zeit überlebt hatte und zurückgekehrt war.18 Der Friedhof wurde in der Pogromnacht 1938 und die Jahre danach geringfügig zerstört. Die umgestürzten Steine wurden nach 1945 wieder aufgerichtet. In der Folge der Novemberpogrome war er von der politischen Gemeinde für 200 Reichsmark erworben worden. Diese musste ihn 1949 an die JRSO zurückgeben.19

Der Friedhof hat einen Umfang von 780 Quadratmetern und ist in weiten Teilen dicht belegt. Er diente auch den Juden aus Willingshausen und Schrecksbach, die zur Synagogengemeinde Merzhausen gehörten, als Grablege.

Merzhausen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Niedergrenzebach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. HStAM, 40 a Rubr. 16, Generalia Pak. 1, Pak. 5
  2. HStAM, Kataster I Merzhausen, Lager-, Stück- und Steuerbuch, Index nominum, 1737
  3. Demandt, Hessische Judenstättigkeit, S. 292-332
  4. Greve, Schluss mit „lustik“, S. 131-147
  5. HStAM, Kataster II Merzhausen, 1844
  6. HHStAW 365, 610-613
  7. Gedenkbuch des Bundesarchivs
  8. HStAM, Rechnungen III Merzhausen, 1788
  9. Altaras, Synagogen, Nr. 31 S. 159
  10. HStAM, 224 Ziegenhain, 129 (1901)
  11. Ruetz, Juden in Merzhausen, S. 707-722
  12. HStAM, Rechnungen III Merzhausen, 1788
  13. HHStAW 518, 1417/1
  14. HStAM, 180 Ziegenhain, 3326
  15. Geisel, Israelitische Schullehrer, S. 67-71; vgl. HStAM 19 h, 1004; 180 Ziegenhain, 2847, 2938, 3326, 3392
  16. HStAM, 180 Ziegenhain, 3392
  17. HStAM Best. 180 Ziegenhain Nr. 4499; Mitteilung Andreas Schmidt (Wettenberg).
  18. Ruetz, Juden in Merzhausen, 1993, S. 710 ff.
  19. HHStAW 518, 1417/1. An Schäden in der Pogromnacht wurden 174,50 DM berechnet.
Recommended Citation
„Merzhausen (Schwalm-Eder-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/238> (Stand: 18.10.2023)