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Eröffnung der Untertage-Sondermülldeponie in Herfa-Neurode, 21. Juni 1972

Im nordhessischen Herfa-Rode wird in einem seit 1970 stillgelegten Grubenfeld der Kali + Salz AG die erste untertägige Sondermülldeponie (Untertagedeponie, UTD) der Welt in Betrieb genommen.

Die ehemalige Kaligrube Herfa-Rode ist ein sogenanntes geologisches Mehr- (oder: Multi-) Barrierensystem, das sich aufgrund seiner Eigenschaften gut für die dauerhafte Lagerung von gefährlichen Substanzen eignet. Hier lagern insbesondere solche (nicht-radioaktiven) Sonderabfälle, deren Gefährlichkeit mit der Zeit nicht abnimmt, und die aus diesem Grunde dauerhaft dem Kontakt zur Biosphäre entzogen werden müssen.

Die in einer Tiefe von ca. 700 bis 800 Metern gelegene UTD mit einer nutzbaren Fläche von zwölf Quadratkilometern besitzt keine direkte Verbindung zur Biosphäre der Außenwelt.

Die Einlagerungshohlräume befinden sich in einer etwa 300 Meter mächtigen standfesten Salzformation. Diese Schicht im Erdinneren flach eingelagerter Salzstöcke (gasdichtes Salzgestein, das durch die Ver- bzw. Eindunstung von wässrigen Lösungen aus Meerwasser gebildet hat; Fachbegriff: Marine Evaporite) ist in der erdgeschichtlichen Entwicklung zunächst von einer insgesamt rund 100 Meter mächtigen Schichtenfolge aus wasserundurchlässigem Ton überlagert worden, darüber folgen nochmals rund 400 Meter Buntsandstein. Die bis 1970 in Herfa-Rode aus der sogenannten Werra-Formation abgebauten Kalisalze entstanden vor mehr als 250 Millionen Jahren in der Epoche des „Zechstein“, daher spricht man in Herfa-Neurode auch vom „Zechstein-Salinar“.

Herfa-Neurode ist die größte und zunächst auch einzige Untertage-Sondermülldeponie der Welt und nimmt in den kommenden Jahren Tausende Tonnen hochgiftiger Industrieabfälle auf, die nicht allein aus Hessen und anderen Bundesländern, sondern vielfach auch aus dem europäischen Ausland per LKW und Bahn herangeschafft werden.

Die 1970 stillgelegte Schachtanlage Herfa-Neurode gehört seit 1967 zur Kaligrube „Wintershall“, die technisch und organisatorisch vier ehemals voneinander unabhängig existierende Schächte miteinander verbindet, die in einem Umkreis von nicht mehr als fünf Kilometer nahe beieinander liegen: neben den inaktiven Schächten „Herfa“ (767 Meter) und „Neurode“ (731 Meter) die zwischen 1911 und 1913 im Herfa-Grund abgeteuft wurden, zählen noch der 1900 bis 1902 niedergebrachte Schacht „Grimberg“ (531 Meter, am Bahnhof Heringen gelegen) und der zwischen 1907 bis 1911 entstandene Schacht „Heringen“ (472 Meter) zu dem Ensemble. Teile der Schachtanlagen Herfa und Neurode dienten während des Zweiten Weltkrieges als Munitionsdepot.

Die Häufung der im Bereich des Werra-Kalireviers sowohl auf thüringischem als auch auf hessischem Gebiet gelegenen Gruben erklärt sich durch ihren gemeinsamen geologischen bzw. erdgeschichtlichen Ursprung: das urgeschichtliche „Zechsteinmeer“ hat hier durch sein allmähliches Verdunsten zu gewaltigen Salzablagerungen geführt, die später durch eine bedeckende Tonschicht vor dem Auswaschen bewahrt wurde.

Die zu Betriebsbeginn durch die hessische Landesregierung erteilte Genehmigung sieht vor, das zunächst nur wenige, ausgewählte Formen chemisch-toxischer Abfälle ausschließlich vom Mutterkonzern der Betreibergesellschaft Kali und Salz GmbH, dem Chemieriesen BASF in Ludwigshafen, eingelagert werden dürfen. Die Kali und Salz GmbH entstand 1971 durch Fusion der Salzdetfurth AG von 1889 mit der Kali-Sparte des BASF-Tochterunternehmens Wintershall AG und der Burbach-Kaliwerke AG, die bereits seit 1955 mehrheitlich zur Wintershall AG gehörte. Die Genehmigung gilt zunächst für einen auf zehn Jahre begrenzten Zeitraum, jedoch werden diese Restriktionen sehr bald fallen gelassen, da auch zahlreiche andere Verursacher von gefährlichen Sonderabfällen dringend nach Entsorgungsmöglichkeiten suchen. Auch die anfänglich zur Auflage gemachte Lagerung in Metallfässern wurde bald durch eine Genehmigung für Plastikbehälter ergänzt1.

Die Aufnahmekapazität der UTD Herfa-Neurode muss in den folgenden Jahren stetig an das rasant wachsende Aufkommen hochgiftiger Industrieabfälle angepasst werden. Erreichen 1972 ganze 512 Tonnen die Lagerstätte im Salzstock, so sind es 1975 bereits 39.460 Tonnen, davon allein 30 % aus dem Ausland. 1991 erreicht die Menge eingelagerten Sondermülls in der ehemaligen Kaligrube einen vorläufigen Spitzenwert von 148.692 Tonnen.
(KU)


  1. Vgl. Schade, Reverse mining, S. 24
Records
Additional Information
Recommended Citation
„Eröffnung der Untertage-Sondermülldeponie in Herfa-Neurode, 21. Juni 1972“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/208> (Stand: 21.6.2021)
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