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Freudenszenen beim Besuch von DDR-Bürgern in Berlin und in grenznahen Städten auch in Hessen, 10. November 1989

Nach Öffnung der innerdeutschen Grenzen besuchen Millionen von Bürgern der DDR die grenznahen Städte der Bundesrepublik und West-Berlin. Es kommt zu überschwänglichen Freudenszenen; fremde Menschen umarmen sich, singen, tanzen und jubeln. Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017; CDU) bricht seinen Polen-Besuch ab, um am Abend vor dem Schöneberger Rathaus in West-Berlin auf einer Kundgebung zu sprechen. Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt (1913–1992; SPD) prägt dort den Satz „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“.

Einen besonders starken Ansturm erleben in Hessen vor allem die Ortschaften und Städte, die nahe an der Ostgrenze und dem Grenzübergang Herleshausen liegen. Hier strömen hunderte Menschen mit Auto, Zug oder Bus in den Westen, wo sich notdürftig auf den großen Andrang vorbereitet wird. So etwa in Philippsthal, dem direkten Nachbarort des auf DDR-Boden liegenden Vacha. Hier wurde ein neuer Grenzübergang eingerichtet, über den die Bewohner Vachas nun nach Philippsthal strömen. Dort werden sie jubelnd begrüßt und bekommen von der Arbeiterwohlfahrt kostenlosen Kuchen, Obst und Kaffee angeboten. Auch die Supermärkte und Einkaufsläden Philippsthal haben extra ihre Öffnungszeiten angepasst, um den DDR-Besucher*innen Einkäufe zu ermöglichen.1 Viele DDR-Bürger*innen reisen in die größeren Städte wie Frankfurt am Main oder Wiesbaden weiter, um sich dort ihr „Begrüßungsgeld“, 100 DM, auszahlen zu lassen und wenn möglich gleich vor Ort in das Konsumangebot zu investieren. Dabei kommt es zwischendurch zu großen Schlagen an den Ausgabestellen.2 Um den Service für die angereisten DDR-Bürger*innen zu verbessern, werden deshalb in den kommenden Tagen mehrere Ausgabestellen eingerichtet, teilweise in Postfilialen und Banken.3 Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden ernennt am 14. November einen Sonderbeauftragten für die Koordinierung des Besucher*innenstroms, Busfahrten an die Grenze und zurück werden eingerichtet und den Supermärkten und dem Einzelhandel wird es freigestellt, ihre Öffnungszeiten beliebig zu verlängern.4 Um die Unterbringung aller Ausreisenden, die nicht in die DDR zurückkehren wollen zu gewährleisten, werden außerdem in allen Städten und Ortschaften Bettenbörsen eingerichtet und Schlafplätze in öffentlichen Gebäuden, Schulen, Turnhallen etc. bereitgestellt. Auch helfen viele Ehrenamtliche in dieser Ausnahmesituation mit.5

Nach allem Chaos, Wiedersehensfreude und Euphorie über die Maueröffnung berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon zwei Wochen später, dass der Besucher*innenandrang nach den ersten turbulenten Tagen schon spürbar nachgelassen habe.6
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.1989, S. 4: Auf dem Trabi steht „Nur zu Besuch“.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.1989, S. 39: Zu schwerfällig.
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.1989, S. 47: Verbesserter Service und Gesten des Willkommens.
  4. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.1989, S. 50: Adresse für DDR-Besucher. Landeshauptstadt benennt Sonderbeauftragten.
  5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.1989, S. 9: Ansturm aus der DDR: Chaos vor der Zahlstelle/Fast 3000 Besucher warten stundenlang auf ihr Begrüßungsgeld/Überfüllte Sonderzüge.
  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.1989, S. 39: Besucherandrang läßt nach. Überfüllt waren die Züge aus der DDR nur am Samstag.
Records
Recommended Citation
„Freudenszenen beim Besuch von DDR-Bürgern in Berlin und in grenznahen Städten auch in Hessen, 10. November 1989“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/2765> (Stand: 13.10.2020)
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