Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach

Abschnitt 11: 10.11.1914: Feldpostbrief aus Wytschaete

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Wytschaete1, 10.11.1914

Liebe Mutter,

In dem großen Brief, den ich am 5. d. M. erhielt, erwähntest Du auch, daß August Kistner schon 20 Mark geschickt hätte. Wie froh war ich, daß ich am 2. auch 12 Mark fortschickte. Der Grund, daß man eben nicht schreiben kann, liegt darin, daß wir dauernd auf Transporten sind, wir werden immer dorthin geworfen, wo der Kampf am heißesten ist. Eben sind wir an einer Stelle, an der durchgebrochen werden soll. Um mich herum hausen 10 Regimenter, wo Du hin willst, stößt man auf Militär und wo Du hin trittst, liegt ein Toter. Hier liegen die Toten auf dem Schlachtfeld wie die Dickwurz auf dem Acker so dicht gesät. Um mich herum schießen 60 Batterien Artillerie, das sind 360 Geschütze. Die feindlichen Geschosse schlagen ebenso zugleich ein. Da muß man Nerven haben wie ein Pferd. Feldpost sieht man überhaupt nicht, an der man nur einen flüchtigen Kartengruß abgibt, damit Ihr überhaupt wißt, daß man noch lebt. Am Tage heißt es hin und her zu Fuß und auf dem Fahrrad, das Gewehr immer schußbereit, aber kein Bleistift in der Hand. Und abends oder nachts darfst Du kein Licht anstecken, um Euch ausführlich einmal zu schreiben, wie man doch so gerne möchte. Denn das Licht sieht doch der Feind und überdies hättest Du gar keine Energie mehr dazu, so müde bist du. Da heißt es: Mantel an und in den Schützengraben gelegt. Eine Post kommt selten, aber dann haufenweise. Das ist gar nicht anders möglich. Unsere Kompanie liegt nicht in einem Häufchen. Fliegt eine Granate hierhin, 10 in diese Ecke und 20 in eine andere, da kann keiner hin die Post von zu Hause bringen. Da wartet man bis wieder einmal alles gesammelt wird, und dann kommt der Postsack an und dann wird ausgeteilt. So nun genug davon, obwohl ich annehme, daß Ihr mich noch nicht verstanden habt.
Herzlichen Gruß Richard


  1. Wytschate, belgischer Ort etwa 8 km südlich von Ypern.

Personen: Weber, Richard · Kistner, August
Orte: Wytschate · Ypern
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe · Infanterie-Regiment Nr. 168 · Gefallene · Artillerie · Artilleriefeuer
Empfohlene Zitierweise: „Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach, Abschnitt 34: 10.11.1914: Feldpostbrief aus Wytschaete“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/175-11> (aufgerufen am 03.05.2024)