Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Wilhelm Neuhaus, Landsturm-Infanterie-Bataillon Hersfeld, 1914-1915

Abschnitt 19: Weihnachtstage bei der Kompanie

◀ [Teil IV, 18-25] [22-24] Das Mehl ist recht sparsam geworden. Die gesamte Bewohnerschaft erhält ihr Brod, das von den Bäckern an die Gemeindebehörde abgeliefert werden muß, zugeteilt, z. Zt. für den Kopf und die Woche ein Brod von 3 Pfund, für das 60 Centimes bezahlt werden müssen. Das Verbacken von Mehl zu feinem Gebäck ist untersagt. Sonst scheint es aber hier nur an Petroleum (1 Frc. 25 Centimes für 1 Liter) zu fehlen. Kohlen kommen jetzt auf unserer Bahnstrecke genug von Charleroi und Mons, wo die Bergwerke wieder in Betrieb genommen sind, herüber. Allerdings sind sie in der Hauptsache für Deutschland bestimmt und der Ztr. Kohlen kostet in Grammont immerhin 1,90 Frc. gleich 1,52 Mk. Auf dem Schlößchen am Tunnel haben wir auch Weihnachten gefeiert. Wohl erstrahlte der Kerzenbaum festlich in unserer Halle, wohl ertönten die alten, lieben Weisen von [S. 23] der stillen, heiligen Nacht und der frohen gnadenbringenden Weihnachtszeit durch den Raum, aber nur tiefe Wehmut ließen sie in unserem Herzen wach werden, und als unser Redner sprach von den Christglocken, die jetzt feierlich über unsere heimatlichen Berge hinsängen, von den leuchtenden Kinderaugen und jubelnden Kinderherzen, von der lieben Frau deren Hand sonst an diesem Tage besonders fest und warm in der unsrigen lag, da haben wir uns auch der Tränen nicht geschämt. – Wer aber zur selben Stunde auf Posten stand, hat wohl ein paar Weihnachtskerzen in seinem Schilderhaus entzündet und bei ihrem Schimmer stille, heimwehvolle Weihnacht gefeiert. Unvergeßlich wird uns diese Nacht in der Einsamkeit in Feindesland sein. Der Himmel im hellsten Sternenglanze, in tiefer Ruhe das weite Land. Da hebt vom Glockenturme der nahen Stadt ein helles Läuten an, in feierlichen Klängen singt das Glockenspiel seine alten Weisen in die Nacht hinein. Frieden! Frieden! künden die Töne die sich hineinsenken in die andachtsvoll gestimmte Seele. Aber da wacht dahinten im Süden ein anderes auf. Lange Lichtarme fegen über den Himmel, als wollten sie die Dunkelheit fortfegen, ein dumpfes Grollen und donnerndes Rollen. Laut rufen die Kanonen: Krieg! Krieg! Und sie haben recht, jetzt ist keine Zeit zu träumen, doppelte Wachsamkeit ist für diese Nacht geboten, geladen standen die Gewehre unter dem Christbaum und verstärkte Posten und Patrouillen halten gute Wacht.

Eine besondere Tücke des Schicksals wollte es, daß wir zu diesem Tage die aus der Heimat schon so lange vorher abgesandten Weihnachtsgaben und mit ihnen die Briefe und Grüße nicht erhielten. Fremde Hand hatte uns den Tisch bereitet. Für jeden war eins der Liebesgabenpakete ausgelost, die aus allen Gauen unseres Vaterlandes den Kriegern im Felde zugesandt wurden. Unsere waren zum größten Teil aus Fulda und den Rhönorten. Besonders dankbar wurden sie empfangen als ein Zeichen der Liebe, mit der unsere Volksgenossen auch unserer gedachten. Dazu erhielten wir von der Kompagnie Zigarren, Tabak, Zigaretten, ein paar Aepfel und Nüsse und Chokolade. Unsere eigentlichen Weihnachtspakete kamen dann viel später an. Am 3. Januar die Hauptmasse und in den folgenden 8 Tagen die Nachzügler. So [S. 24] wurden wir denn – Dank der Fürsorge unserer Feldpost oder wer sonst die Pakete befördert hat -- nicht von der Last all der Plätzchen, Kuchen, Würste, Schinken usw. erstickt-, sondern alles das trat in wohltuenden Zwischenräumen an unseren Magen heran. Daß wir auch das neue Jahr mit einem Glas belgischen Bieres, das hier ganz trinkbar ist, begrüßten und von ihm ein baldiges ruhmreiches Ende des Krieges erwünschten, sei der Vollständigkeit wegen erwähnt. ▶