Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Neuhaus, Landsturm-Infanterie-Bataillon Hersfeld, 1914-1915

Abschnitt 14: Abzug aus Gent, 3.12.1914

[Teil III, 14-17] [16-17] Unsere Stunde hatte bald geschlagen, schon am 3. Dezember mußten wir wieder scheiden, um nun die Sicherung der Bahnlinie Sottegem-Grammont1 zu übernehmen. Leider zogen nicht alle wieder mit uns fort. Schon gleich am Anfang unseres Aufenthalts in Gent erkrankte der Führer des ersten Zuges der Kompagnie, Feldwebel-Leutnant Vaupel, so schwer, daß seine Ueberführung in das deutsche Kriegslazarett 4 in Brüssel notwendig wurde. Hier ist er nach einigen schmerzensreichen Tagen entschlafen. Ein lieber, seelenguter Vorgesetzter, dessen Heimgang wir alle nachtrauern. Und noch ein zweiter lieber Kamerad, Steinhauer aus Hilmes, mußte zurückbleiben. Er hatte sich eine schwere Lungenentzündung zugezogen, im Lazarett in Gent ist er gestorben. [S. 17] Auch er wird allen, die ihn kannten, in treuer Erinnerung bleiben. Nicht ohne einen kleinen Zwischenfall sollten wir die Stadt verlassen: Die Genter hofften damals allen Ernstes, daß in 5 – 6 Tagen die rettenden Engländer erscheinen würden. Da nun unsere ablösenden Landsturmkameraden nicht pünktlich zur Stelle waren, konnte der Abmarsch nicht in so geordneter Weise wie sonst vor sich gehen. Gleich dachten die Belgier: ,,Die sind auf dem Rückzuge!" sammelten sich zu hunderten an und sahen unserem „Rückzuge" mit hämischen Mienen zu. Die Pferde, die für unsere Bagage bestimmt waren, kamen und kamen nicht. Weshalb auch einen abziehenden Feind unterstützen! Da haben wir einfach vorüberfahrenden Fuhrwerken die Pferde abgespannt und vor unsere Wagen geschirrt. Aehnliche Vorfälle kommen öfter vor. Ein paar Tage später kam es in Melle, nahe bei Gent, wo unsere 4. Kompagnie liegt, zu gröberen Ausschreitungen. Fährt da deutsche Artillerie in etwas schlankem Trab durch die Straßen. „Rückzug, Rückzug!" jubeln die belgischen Herzen. Gleich rotten sich große Scharen zusammen, beschimpfen und bedrohen unsere Posten, spuken vor ihnen aus und ballen die Fäuste, bis unsere Kameraden mit gefälltem Bajonett die Straße säubern und mehrere Hauptschreier, von denen einige zu längerer Freiheitsstrafe später verurteilt worden sind, hinter Schloß und Riegel setzen. Hinter der gleichgültigen Miene, die die Belgier zur Schau tragen, schlummert eben die Hoffnung auf Englands mächtige und so oft versprochene Hilfe. Nein, sie schlummert nicht, viel besser gesagt, sie spitzt aushorchend die Ohren und sinnt auf Rache: „Wehe euch, Landstürmern!" – – Nun, wir haben auch Augen und Ohren und vor allem unsere guten Gewehre. „Wagts nur mal, Belgier!"


  1. Streckenlänge ca. 20 km.

Personen: Neuhaus, Wilhelm · Steinhauer, Kamerad · Vaupel, Leutnant
Orte: England · Gent · Grammont · Hersfeld · Hilmes · Melle · Zottegem
Sachbegriffe: Bestattungen · Eisenbahnlinie · Gefallener · Lazarett · Lungenentzündung · Rückzug · Verurteilung
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Neuhaus, Landsturm-Infanterie-Bataillon Hersfeld, 1914-1915, Abschnitt 14: Abzug aus Gent, 3.12.1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/21-14> (aufgerufen am 05.05.2024)