Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 40: V. Unterstand bei Reims

[105-107] Bei Berry-au-Bac, 10. August.
Ich sitze wieder tief unter der Erde beim Schein einer Stallaterne.

Wir lagen nur einige Tage am Brimont, als das verhaßte Wandern schon wieder begann.
[S. 106] Auch dieser Berg ist wie das ganze Offensivgelände trichternarbig; Loch an Loch. Die Kreideschicht beginnt erst in größerer Tiefe; oben lagert gelber, weicher Sand, in dem nur schwer Stellungen zu bauen und zu erhalten sind, denn jeder Regen bringt Rutschungen, jede Granate schüttet ein ganzes Grabenstück zu.
In den Granatsandlöchern aber beginnt schon wieder das Unterholz zu wuchern, wo unter Büschen und Zweigen in ruhigen Stunden es sich so herrlich faulenzen läßt, wo die Gedanken spazieren gehen im stillen Garten der Erinnerung, wo Sehnsucht und Wünsche stille stehen am verschlossenen, grauen Tor der Zukunft.
Ich hätte nie geglaubt, daß derartig zerschossene, kahle Bäume weiterleben könnten. An den nackten Stämmen der Buchen und Birken hängt manchmal nur noch ein einziges Zweiglein, und an dessen Ende grünt ein dichter Blätterbusch wie ein Federwisch oder die kurzgeschnittene Schweifquaste eines polnischen Pferdchens.
Ganz in der Ferne, im Osten, weit hinterm rechten Fuß des Brimont, kann das kundige, scharfe Auge gerade noch die stumpfen Türme der Reimser Kathedrale erkennen; und noch weiter aber, links vom Brimontkegel, die weißen Riesenleichen des Cornillet und des Hochbergs. Zerstreut in der Ebene da unten liegen die kleinen, vierseitigen, rechtwinkligen „Wälder", der Wald von Orainville und die andern mit deutschen Namen: der Küchenwald, der Hessenwald, Hacketäuerwald, das Namenlose Wäldchen und wie sie alle heißen. Man sagt „Wälder", aber es sind nur noch Stangenwälder.
[S. 107] [...] Weiter westlich, es mag noch rechts von Cerny sein, ist ein schweres Feuer im Gang, das ich im Stollen tief unter der Erde dröhnen höre. Ich war eben oben; draußen ist es still. Heute Nachmittag aber haben uns schwere Geschütze sechs Stunden lang beschossen. Eine 22 cm-Granate wühlte dicht neben dem zweiten Eingang zu meinem Unterstand ein tiefes Loch. Wenn die zwei Leute, die ich bei mir habe, sich aufeinanderstellen, so kann der obere noch nicht über den Rand des Trichters hinwegsehen. [...]


Personen: Egly, Wilhelm
Orte: Berry-au-Bac · Brimont · Cerny · Cornillet · Friedberg · Orainville · Reims
Sachbegriffe: Front · Granaten · Kathedrale · Laterne · Tagebücher · Unterholz
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917, Abschnitt 16: V. Unterstand bei Reims“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/65-40> (aufgerufen am 15.05.2024)