Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 38: V. Ernte

[99-101] [S. 99] Hindenburglager, 27. Juli.

Die schwere Champagneerde trägt schwere Frucht auf weiten Feldern. Allüberall wird reiche Ernte gehalten. Alles, was nur Hände hat, muß arbeiten: Munitions- und Trainkolonnen, Armierungs- und Ruhefrontbataillone, französische Zivilisten, Männer, Frauen und Mädchen, die große, blütenweiße, steifleinene Kopftücher tragen, welche kleidsam die braunen Gesichter überschatten.
Inmitten der brandenden, lebendigen Arbeit liegt, umgeben von tausend geschnittenen Garben, ein kleines Fleckchen Erde, eine Insel der Toten: der Soldatenfriedhof von Asfeld-la-Ville.
Asfeld — das klingt deutsch und ist es auch. Die Häuser haben hier wie in der ganzen Umgegend ein fränkisches Aussehen: schiefergedeckte, hohe Dächer und Holzfachwerk. Die Menschen helläugig, blond oder braun, Franken wohnen hier, dem Sieger blutsverwandt, ohne es zu wissen. —
[...] Schwankende Erntewagen fahren von allen Feldern radienförmig nach einem Richtungspunkt, von dem aus dickqualmende Rauchwolken in die heißzitternde [S. 100], feuchtschwangere Luft sich stoßen: Zur brummenden Dreschmaschine. Deutsche Soldaten laden ab. Hagere, französische Männer gabeln die Garben zur Maschine hinauf, weißbehaubte Frauen und Mädchen legen ein in die Trommeln. Im Bewußtsein seiner Würde steht breitspurig, mit verschränkten Armen der Feldgendarm dabei. Die schweren, mit ausgedroschenem Korn gefüllten Säcke werden auf bereitstehenden, großen Lastkraftwagen verladen, die ihre gerade in diesen Zeitläuften so unschätzbar wertvolle Fracht zu den Sammelstellen der Armee fahren. Als ob er sich freue, eine so kostbare Last fortschaffen zu dürfen, so faucht und grunzt der Motor im tiefsten Ratterbaß!
Brot und Granaten! Haben wir von beiden genug, so kann uns kein Völkerbund — und wenn er alle Völker der Erde zum Kampfe vereint! —, so kann weder Zeit noch weltbetörende Lüge den Sieg uns entreißen, den die Waffen erstritten und durch Jahre hindurch festgehalten haben. —
Arbeit hilft mehr als Müßiggang ein schweres Geschick zu tragen! Und so müssen auf den Saatfeldern der Champagne, in Flandern, an den Usern der Maas, überall, wo deutsche Männer auf welschem Boden stehen, deine unglücklichen Menschen helfen, die Ernte zu bergen. Aber Hände weg!, Franzosenvolk und all ihr feindlichen Völker, von der Ernte, die auf blutigen Schlachtfeldern herangewachsen ist und bald gereist sein wird. Die Ernte des Sieges bergen wir ohne fremde Hilfe! Wenn uns die Gutsverwaltung, die man den „Reichstag" nennt, die Ernte nicht verschlechtert um ein Linsengericht zum Schaden ihrer Arbeiter, welche die Saat von Menschenleibern, die zu Hunderttausenden [S. 101] auf unabsehbaren Feldern in die Erde gesenkt wurden, mit ihrem und ihrer Feinde Blut begossen!


Personen: Egly, Wilhelm
Orte: Friedberg
Sachbegriffe: Armee · Brot · Elfen · Ernte · Eschen · Granaten · Häuser · Kopftücher · Nebel · Schlachtfelder · Soldatenfriedhof · Tagebücher · Weiden
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917, Abschnitt 38: V. Ernte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/65-38> (aufgerufen am 01.05.2024)