Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914

Abschnitt 9: Gefangennahme des Vizewachtmeisters Roth

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Gefangennahme des Vizewachtmeisters Roth.

Vizewachtmeister Roth, der mit bei den in der Schule Belle-Fontaine untergebrachten Verwundeten war, schildert nachfolgend: „Wie ich in französische Gefangenschaft geriet."

Nachdem ich auf meinem fünften Patrouillenritt mit noch vier meiner Leute verwundet worden war, wurden wir in der Schule, zu Belle-Fontaine, die als Hospital eingerichtet war, untergebracht. Gepflegt wurden wir von belgischen Schwestern, ihre Pflege konnte man als leidlich bezeichnen. Ich selbst hatte einen Armschuß und eine starke Quetschung am linken Oberschenkel und Unterleib durch Sturz mit dem Pferde, während meine Leute meistens Lanzenstiche davongetragen hatten. Die Pflege sollte jedoch nicht lange dauern. Infolge der großen Anstrengungen und des außerordentlichen Blutverlustes war ich sehr matt, so daß ich nur Durst und immer wieder Durst hatte.

Meine Eskadron war die Aufklärungs-Eskadron Butler. Sie hatte sich bis Belle-Fontaine zurückgezogen und gedachte, das Dorf halten zu können. Aber kaum waren wir untergebracht, als sich draußen ein kleines Gefecht entwickelte, bei dem die nachdrängenden Franzosen zwei Leute verloren, wie ich nachträglich von zwei französischen Offizieren hörte. Dann wurde es ruhig draußen. Ich fürchtete schon, daß sich meine Eskadron noch weiter zurückgezogen haben würde, und richtig: kurz darauf, mit Eintritt der Dunkelheit, erschienen zwei französische Offiziere in unserer Schule und durchsuchten unsere blutgetränkten Röcke nach Schriftstücken. Auffallend war mir, daß die Franzosen sofort auf mein Bett zukamen, trotzdem ich nicht am Eingang des Zimmers lag und trotzdem die Personen, die bei unserer Unterbringung zugegen gewesen waren, nicht bei den Offizieren waren, z. B. ein Geistlicher und ein Heilgehilfe, vielleicht war der letztere aber auch Arzt gewesen. Einer der Offiziere fragte mich in gebrochenem Deutsch, welche Charge ich bekleidete. Ich antwortete ihm, ich sei Wachtmeister. Darauf sagte er, ich solle nur die Wahrheit sagen, ich wäre doch Offizier. Nochmals fragte er mich, ob ich noch [S. 35] Schriftstücke bei mir hätte. Als ich dies verneinte, verließen sie das Zimmer wieder.

Die Schwestern wachten bei dürftigem Lichte die ganze Nacht bei uns. Als der junge Tag graute, kam plötzlich eine französische Dragoner-Patrouille in das Zimmer und stürzte sich sofort auf mein Bett. Die Dragoner legten mir einen dicken Strick um das linke Handgelenk — den rechten Arm hatte ich in der Binde — und drohten mir mit Erschießen, sobald ich den geringsten Widerstand leisten würde. Die Schwestern warfen sich auf die Knie und beteten, kurzum, es war ein aufregender Augenblick.

Ich wurde nun angekleidet und aus dem Zimmer gebracht. Draußen waren noch mehrere Zivilpersonen, die mich in Empfang nahmen und auf ein Pferd hoben. So wurde ich in eine nahegelegene Waldecke geschleppt, in der eine französische Kürassier-Schwadron stand. Hier hob man mich vom Pferde und brachte mich in ein in der Nähe stehendes Auto. Meine Leute hatte man in der Schule liegen lassen und nur mich als Geisel geholt, anscheinend in der Absicht, recht viel aus mir herausholen zu können. Denn immer wieder versuchte man mich zu dem Geständnis zu zwingen, ich sollte sagen, ich sei Offizier. Meine zurückgebliebenen Leute sind übrigens bald wieder in deutsche Hände gekommen.


Personen: Scotti, von · Roth, Vizewachtmeister
Orte: Belle-Fontaine
Sachbegriffe: 5. Rheinisches Dragoner-Regiment von Manteuffel · Dragoner-Regiment Nr. 5 · Verwundete · Kriegsgefangenschaft · Patrouillen · Hospitäler · Lazarette · Krankenschwestern · Pferde · Lanzenstiche · Nahkampf · Eskadrons · Franzosen · Offiziere · Dragoner · Kürassiere · Autos · Geiseln
Empfohlene Zitierweise: „von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914, Abschnitt 9: Gefangennahme des Vizewachtmeisters Roth“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/90-9> (aufgerufen am 25.04.2024)