Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914

Abschnitt 8: Bericht Leutnant Freiherr Riedesels

[31-34]
Über die Erlebnisse auf dieser Patrouille schreibt Lt. Frhr. Riedesel in seinem Tagebuch folgendes: [S. 32]

„Mein Auftrag war, in die Gegend von Puilly1 vorzugehen und zu versuchen, Einblick in die von hier nach Norden und Osten führenden Straßen zu gewinnen. Ich erreichte ohne Schwierigkeit Villers devant d'Orval2 und die einige Kilometer westlich, in Richtung auf Puilly gelegene Bois le Comte-Ferme, wo wir hielten und eine gute Beobachtung hatten. Das Dorf Puilly selbst konnten wir leider nicht sehen. Wir erkannten auf den Höhen westlich Puilly mehrere Abteilungen schanzender Franzosen und gegen ½ 6 Uhr abends eine französische Schwadron weit auseinandergezogen auf dem Marsche nach Puilly hinein. Mit Einbruch der Dunkelheit wechselte ich meinen Standpunkt vorsichtshalber und zog in das Wäldchen hart nördlich meines bisherigen Beobachtungsstandes unter allseitiger Sicherung. Am nächsten Morgen setzten die tags zuvor beobachteten französischen Schanzabteilungen ihre Arbeit fort. Ebenso erscheint die französische Schwadron wieder bei Puilly. Noch mit der Beobachtung dieser Schwadron beschäftigt, erscheinen überraschend, nur etwa 70 Schritt von uns entfernt, 3 französische Reiter, Säbel in der Hand, einer von ihnen als Offizier erkennbar. In dem Augenblick, in dem ich meinen aufgeregten Leuten verbiete zu schießen und sich überhaupt zu bewegen, folgt den 3 Reitern eine ganze Schwadron auf Schecken beritten. In höchster Aufregung unsererseits marschiert der Feind an uns vorbei, wobei ich Gelegenheit hatte, festzustellen, daß es sich um eine vorzüglich berittene, bewaffnete und anscheinend schneidige Truppe handelte. Der Feind verschwand im Walde in Richtung Villers devant Orval. Ich ließ sofort aufsitzen und folgte auf Villers devant Orval. Auf der Höhe kurz vor diesem Dorf bekamen wir Feuer. Da ich annahm, es mit Einwohnern zu tun zu haben, befahl ich, in schneller Gangart, die Radfahrer hinter den Spitzenreitern, durch das Dorf zu stoßen. Am Ausgang nach Margny3, im Begriff das Dorf zu verlassen, sehe ich plötzlich Franzosen auf uns zu laufen, im nächsten Augenblick auch uns beschießend. Die Radfahrer warfen ihre Räder hin, stellten sich an die Häuserseite und schossen kaltblütig und treffsicher einen Franzosen nach dem anderen ab. Ich ließ nun sofort kehrt machen. Da fallen mir die Worte meines Rittmeisters ein: „Lassen Sie mir nicht die Radfahrer im Stich!" — Mein Pferd hat schon immer geklebt, aber jetzt, wo der Rest meiner Patrouille unter Hardenbergs Führung abgaloppiert, war es gar nicht mehr zu halten. Ich springe also ab und hinter ein Haus, wohin auch noch ein Dragoner kommt. (Hardenberg suchte und fand dann den Anschluß [S. 33]an die Eskadron, bei der er diese letzten Ereignisse in Margny schilderte.) In diesem Augenblick sah ich meine Scheckenschwadron von hinten sich dem Dorfe nähern. Ich ließ die Jäger einzeln hinter das Haus kommen und befahl ihnen, die Räder zurücklassend, über die Wiese in den Wald zu laufen. Zwei von ihnen, die vorausliefen, habe ich nie wieder gesehen. Mit 2 Jägern und dem Dragoner Mathisiak, dessen Pferd in der sumpfigen Wiese stecken blieb, kam ich in dem Wald an. Mein Pferd wurde an die Hand genommen, und ich kroch den Hang hinauf und sah oben außerhalb des Waldes noch 4 französische Eskadrons in Richtung Margny marschieren. Als diese verschwunden waren, krochen wir am Waldrand weiter. Plötzlich sah ich nur noch 100 Schritt entfernt die Spitze einer französischen Infanteriekolonne auf uns zukommen. Sofort liefen wir — mein Pferd immer noch bei uns — tiefer in den Wald hinein und legten uns hin. Ich glaubte oder hoffte immer noch, daß die Franzosen außerhalb des Waldes bleiben würden, aber schon hörte ich sie sprechen und verstand u. a. das Wort „bois". Ich lag am weitesten vorn und wurde daher auch zuerst gesehen. Ich werde nie den Augenblick vergessen, wie sich vor mir die Büsche teilten, die roten Hosen erschienen und wir uns auf 8 Schritt Auge um Auge gegenübersahen. Ich sah schon die Mündung seines auf mich gerichteten Gewehres, als ich meine Pistole auf ihn abschoß und mich hinwarf. Als ich mich nach längerer Zeit wieder erhob, und zur Beobachtung an den Waldrand kroch, fand ich den Franzosen tot am Boden liegen und auf den Straßen um Villers devant Orval - Herbeuval - Margny ein buntes Bild hin- und hermarschierender Infanterie und Kavallerie verschiedener französischer Regimenter. Von meinen Leuten war bis auf einen Jäger niemand mehr zu finden. Mein Pferd stand immer noch an seinem Platz. Ich beschloß, es aufzugeben und zu Fuß mich mit Kompaß und Karte mit meinem Jäger zur Eskadron zurückzupirschen, was mir auch unter weiteren zum Teil recht aufregenden Zwischenfällen schließlich gelang."

Die Aufklärungs-Eskadron Butler war inzwischen auf Belle Fontaine zurückgegangen, wo sie ihre Verwundeten in der Schule unterbrachte. Nach der Vereinigung mit der Patrouille Riedesel hier mußte sie jedoch nach Kampf in Richtung St. Vincent—Han zurück, dabei stets nach Westen aufklärend und sichernd, und nahm, da ihr Auftrag beendet war, schließlich bei St. Marie die Fühlung mit der Division und dem Regiment auf. [S. 34]

Die Eskadron Butler hatte somit dank der umsichtigen und taktisch überaus geschickten Führung sowie der außerordentlich tapferen und schneidigen Patrouillentätigkeit ihrer Offiziere, Unteroffiziere und Dragoner eine Aufklärungsleistung hinter sich, die mit Stolz anerkannt und gefeiert wurde.


  1. Heute Puilly-et-Charbeaux, französischer Ort in der Nähe der belgischen Grenze, Département Ardennes.
  2. Villers-devant-Orval, belgischer Grenzort zu Frankreich, südlich Florenville, Provinhz Luxembourg.
  3. Margny, französischer Grenzort zu Belgien, östlich Villers-devant-Orval.

Personen: Scotti, von · Riedesel, Freiherr von · Mathisiak, Dragoner
Orte: Villers-devant-Orval · Puilly-et-Charbeaux · Margny · Belle-Fontaine · Saint Vincent · Han · Sainte Marie
Sachbegriffe: 5. Rheinisches Dragoner-Regiment von Manteuffel · Dragoner-Regiment Nr. 5 · Tagebücher · Patrouillen · Leutnante · Franzosen · Schwadronen · Säbel · Kavallerie · Offiziere · Radfahrer · Nahkampf · Dragoner · Gefallene · Pistolen · Infanterie
Empfohlene Zitierweise: „von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914, Abschnitt 8: Bericht Leutnant Freiherr Riedesels“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/90-8> (aufgerufen am 20.04.2024)