Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Leo u.a., Mobilmachung und Aufbruch der Reitenden Abteilung des 1. Kurhessischen Feldartillerie-Regiments Nr. 11 zur Westfront, 1914

Abschnitt 7: Ereignisse des Stellungskrieges, 19.-21. August 1914

[23-26] Am 19. 8., 6.30 vormittags, Marsch über Etalle nach Vance. R./11 ging am Nordausgang des Dorfes in Bereitschaftsstellung, in der 3./r. 11 auch während der Nacht verblieb. Das immer wiederkehrende Alarmieren und die wiederholten Stellungswechsel ohne Gefecht wirkten allmählich langweilig. 1. und 2./r. 11, L.M.K. Quartier in Vance.

Auch der 20. 8. brachte vom Feinde nichts Neues. Die 3. Kav.Div. marschierte über Habay la Neuve, Houdemont auf Rulles. R./11 ging in Lauerstellung südöstlich Rulles. Gegen 2 Uhr mittags wurde Ortsbiwak in Habay la Neuve bezogen. Der Feind war jedenfalls im Vor¬gehen gegen Nordosten, das sollten wir schon am nächsten Tage zu spüren bekommen.

Am 21. 8., um 11.30, ertönte die Alarmtrompete im Biwak. Im flotten Trabe ritten wir — 22. Kav. Brig. und l./r. 11 als Vorhut, 16. Kav.Brig. und Rest R./11 im Gros — in glühender Mittagshitze — [S. 24] über Rulles nach Rossignol. Die Patrouillen und Aufklärungseskadrons hatten übereinstimmend gemeldet, daß der Gegner über Florenville auf Izel vorrücke. Zwei französische Korps und die 9. französische Kav.Div. bewegten sich in Richtung auf Neuf-Chateau. Es waren also schwere Kämpfe zu erwarten. Die 4. französische Armee versuchte bei Neuf-Chateau, die 3. französische Armee bei Longwy vorzugehen. Die 3. Kav.Div. sollte gegen Florenville aufklären.

Gegen 3 Uhr nachmittags erhielt unsere Vorhut (22. Kav.Brig.) aus dem Walde 2 km westlich Jamoigne heftiges Infanteriefeuer. Die 1. und 2./Drag. 5 und die Radf.Komp. Jäg. 6 stürmten den Wald zwischen Jamoigne und Izel. Die 4./Drag. 5 und M.G.Abt. 2 wurden als Verstärkung nachgeschoben. Hart östlich und südlich Izel erblickten unsere Dragoner starke feindliche Schützenlinien, gegen welche weiteres Vorgehen aussichtslos schien. Es handelte sich um die Vorhut-Brigade des 12. französischen Korps. Die R./11 hatte etwa eine Viertelstunde 1,2 km östlich Izel im französischen Strichfeuer, aber durch den vorliegenden Wald leidlich gedeckt, wobei Uffz. Rudloff, 2./r. 11, verwundet wurde, gestanden, als endlich der Befehl zum Einsatz kam. Die 1./r. 11 ging 600 m östlich Izel südlich der Straße Izel-Jamoigne, die 3./r. 11 nördlich dieser Straße im Galopp in offene Feuerstellung, nachdem die Kanoniere im feindlichen Feuer einen Steilabhang an der Straße mit Spaten passierbar gemacht hatten. Ein rasendes Infanteriefeuer schlug uns aus Izel entgegen. In wenigen Augenblicken waren die Geschütze abgeprotzt und die Gespanne in Deckung gegangen. Zuerst eröffnete Hptm. Heck, kurz darauf Hptm. v. Suchten auf 800 m ein gut sitzendes Schrapnellfeuer auf die vor uns liegende französische Infanterie. Zwischen unseren Geschützen lagen die Manteuffel-Drag. und 6. Jäger ebenfalls feuernd. Unsere Kanoniere saßen hinter den schützenden Schilden, gegen die die feindlichen Geschosse prasselten. Das heftige Feuergefecht [S. 25] nahm unvermindert seinen Fortgang auf kurze Entfernung. Uffz. Stromberg richtete schnell die Geschütze der 3./r. 11 mit dem Richtkreis ein, da¬mit auch indirekt geschossen werden konnte. Lt. Kuntze nahm mit einem Geschütz den besetzten Dorfrand besonders unter direktes Feuer. Hptm. v. Suchten, aufrechtstehend, bekam eine Kugel durch den Helm. Kan. Kirchmann, 1./r. 11, starb den Heldentod. Der Abt.Adj. Lt. Henrici, die Kan. Schäfer, Friedrich und 4 andere Leute wurden verwundet und kamen in französische Gefangenschaft, aus der sie erst unser Vormarsch nach einigen Tagen befreite. Die Fahrer und Pferdehalter der l./r. 11 brachten während des heftigen Infanteriefeuers die Protzenmunition an Obergurten tragend oder hinter sich herschleifend an die feuernden Geschütze. Die Sergt. Rehan und Kaiser sowie die Stangenreiter und Pferdehalter Ruthenberger, Gillich, Göge, Kuhn, Schmidt, Heckmann und Himmelmann haben sich unter Anleitung des umsichtigen Vizewachtmstr. Meyer hierbei besonders hervorgetan. Bei der 3./r. 11 zeichneten sich bei der Ergänzung des Munitionsbedarfes Sergt. Marquardt und Uffz. Gote besonders aus. Mehrere Pferde fielen.

Infolge unseres gutsitzenden Feuers verstummte das feindliche Infanteriefeuer fast völlig. Nachdem aber festgestellt war, daß der Feind nahe Verstärkungen heranzug und uns bedeutend überlegen war, schien ein längeres Ausharren in dieser Lage nicht ratsam, zumal die Kavallerie schon erhebliche Verluste hatte. Die Abteilung befahl Stellungswechsel nach rückwärts. Die Aufgabe, die Stärke des Feindes festzustellen, war erfüllt. Es gelang den Batterien, sich ohne größere Verluste vom Feinde zu lösen; lediglich mehrere Pferde wurden verwundet.

Die Division hatte durch das Gefecht ihre heutige Aufgabe, aufzuklären, erfüllt. Sie hatte den Anmarsch starker feindlicher Kräfte festgestellt, diese zur Entwicklung gezwungen und deren Vormarsch aufgehalten. Kurz nach dem Stellungswechsel der beiden Batterien setzte heftiges feindliches Artilleriefeuer auf die eben verlassenen Stellungen ein. Inzwischen hatte die 2./r. II 1 km südlich Jamoigne Ausnahmestellung genommen, um unseren Rückzug zu decken. Sie beschoß mit großem Erfolg die in dicken Linien bei Izel vorgehenden Franzosen. Die 3. Kav.Div. ging zurück. Unsere Batterien nahmen verschiedene Stellungen ein, um den Rückmarsch der Division zu decken. Ein starkes Gewitter mit heftigem Regen machte der Gefechtstätigkeit bald ein Ende. Gegen 7.30 Ahr rückte die R./11 mit der 22. Kav.Brig. ab und erreichte gegen 9 Uhr Habay la Neuve, wo wieder Ortsbiwak bezogen wurde. Marschleistung 51 km. Beim Rückmarsch stießen wir bei St. [S. 26] Marie auf das heranrückende VI. A.K. Der Zusammenstoß der beiderseitigen Infanterien schien am nächsten Tage bevorzustehen. Damit fand die strategische Aufklärungstätigkeit der Heereskavallerie für uns im Westen zunächst ihr Ende.

Diese ist im großen und ganzen anders verlaufen, als wir es auf Grund der Vorkriegsanschauungen angenommen hatten. Die mit größter Spannung und Ungeduld erwarteten und im Frieden so eifrig geübten Reiterkämpfe mit der blanken Waffe verwirklichten sich nicht, da sich die feindliche Heereskavallerie zu einem solchen Kampfe nicht ein einziges Mal gestellt hat, und solche Kämpfe bei der mörderischen Wirkung der modernen Schußwaffen nur unter ganz besonderen Verhältnissen noch möglich bleiben. Dadurch verlor auch die Schnelligkeit sehr oft mehr oder weniger ihre bisherige Bedeutung. An erste Stelle trat dafür die Geschicklichkeit in der Geländeausnutzung.

Jedenfalls hatte die erste ernstere Feuerprobe gezeigt, daß die Division sich auf ihre reitenden Batterien verlaßen konnte, und der weitere Verlauf des Krieges sollte zeigen, daß noch genug Aufgaben der Kavallerie-Divisionen harrten.

Für den verwundeten Lt. Henrici wurde Lt. Arnold Abteilungs-Adjutant.


Personen: Arnold, Leutnant · Friedrich · Gillich · Göge · Gote, Unteroffizier · Heckmann · Henrici, Leutnant · Himmelmann · Kirchmann, Kann. · Kuhn · Kuntze, Leutnant · Manteuffel · Marquardt, Sergeant · Meyer, Vizewachtmeister · Rehan, Sergeant · Ruthenberger · Schäfer, Kanonier · Schmidt · Suchten, von Hauptmann · Stromberg, Unteroffizier · Leo, Georg
Orte: Etalle · Florenville · Habay la Neuve · Houdemont · Izel · Jamoigne · Longwy · Rulles · St. Marie · Vance
Sachbegriffe: Warnsignal · Angriff · Gefallene · Heldentod · Langeweile · Kriegsbeschädigte · Witterung
Empfohlene Zitierweise: „Leo u.a., Mobilmachung und Aufbruch der Reitenden Abteilung des 1. Kurhessischen Feldartillerie-Regiments Nr. 11 zur Westfront, 1914, Abschnitt 7: Ereignisse des Stellungskrieges, 19.-21. August 1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/46-7> (aufgerufen am 28.03.2024)