Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919

Abschnitt 15: Schlechte Ernteergebnisse, Hamsterfahrten

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Im Juli [1918] begann nochmals eine große blutige Offensive im Westen1, die anfangs für uns siegreich war, aber die Übermacht wurde durch das Eingreifen Amerikas immer stärker, und unsere siegreichen Herrn mußten schrittweise lang erobertes und mit großen Blutopfern der langen Kriegsjahre besetztes Gelände den Feinden überlassen, und eine allgemeine Mißstimmung im Heere wie im Volke macht sich geltend. Dazu kam im August der Abfall Bulgariens und der Türkei, unserer Bundesgenossen. Beide Länder konnten sich nicht mehr halten, ihnen folgte naturgemäß Österreich, unser "glorreicher" Verbündeter, mit dem wir jahrelang Seite an Seite gekämpft hatten. Kaiser Karl von Österreich bot dem Feinde den Frieden an, und nun mehrten sich auch bei uns die Stimmen, daß wir uns nicht mehr lange behaupten würden können. Die wirtschaftliche Not wurde immer größer. Die Kartoffelernte war nicht so gut ausgefallen, wie man es sich dachte. Das Wetter beim Kartoffelausmachen war so schlecht, daß die Kartoffeln förmlich aus dem Dreck geschält werden mußten, was natürlich zur Folge hatte, daß die Qualität schlecht war und die Kartoffeln stark faulten. Sehr ertragreich war auch diesmal die Obsternte, d. h. Apfel gab es nicht so viel, denn durch die anhaltende Trockenheit des Sommers waren die Früchte klein und unentwickelt geblieben. Desto besser war die Zwetschenernte, nicht so wie im Jahre 1916, aber doch reichlich. Der Zentner mußte für den Höchstpreis von 20 M abgegeben werden, aber es wurden ja weit höhere Preise geboten und genommen (60 bis 70 M bis 100 Mark pro Zentner) , die Nachfrage überstieg alle bis dahin gekannten Begriffe. Eine ganze Völkerwanderung kam aus Westfalen, um sich etwas zu holen, und wie viele mußten doch die weite Rückfahrt bis nach Hagen, Barmen und dem Industriegebiet wieder antreten, ohne mehr als einige Pfund ergattert zu haben. Das Gedränge auf der Bahn war direkt lebensgefährlich. Durch Polizei suchte man das Hamstern zu verhindern, aber es war unmöglich. Die neunte Kriegsanleihe 1918 im September, schon unter dem Drucke des Rückzugs unserer Heere, wurde nochmals mit 30000 M in unserer Gemeinde gezeichnet.


  1. Die Zweite Schlacht an der Marne vom 15.-18. Juli 1918 war der letzte Vorstoßversuch der deutschen Offensive 1918 an der Westfront. Sie endete mit einem Sieg der Alliierten und leitete die endgültige Niederlage Deutschlands im Westen ein, so dass die Militärs im September 1918 auf den Abschluss eines Waffenstillstands drängten.

Personen: Zölzer, Heinrich Carl · Karl I., Österreich, Kaiser
Orte: Buchenau · Bulgarien · Türkei · Österreich · Westfalen · Hagen · Barmen · Ruhrgebiet
Sachbegriffe: Frühjahrsoffensive 1918 · Marneschlacht 1918 · Demoralisierung des Heeres · Kartoffeln · Kartoffelmangel · Ernteergebnisse · Witterung · Obsternte · Hamsterfahrten · Kriegsanleihen
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919, Abschnitt 15: Schlechte Ernteergebnisse, Hamsterfahrten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/20-15> (aufgerufen am 26.04.2024)