Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919

Abschnitt 13: Diphteriewelle, Friedensschluss mit Russland

[42-44]
Einige Tage vor Weihnachten trat die Diphterie epidemisch in unserer Gemeinde auf. Namentlich waren kleinere Kinder erkrankt. Die Krankheit nahm keinen bösartigen Charakter an. Die Kinder kamen sofort in die Klinik nach Marburg. Ein Kind ist an dieser heimtückischen Krankheit gestorben (Junker). Da zuviel Kinder fehlten, wurde auf Anordnung des Herrn Kreisschulinspektors, Dekan Christian, am 20. Dezember der Unterricht geschlossen.

Da die Teuerungsverhältnisse immer mehr zunahmen, wurden den Lehrern Kriegsbeihilfen gewährt. Da die Kriegsbeihilfen nicht hinreichend waren, wurden auch Teuerungszulagen gegeben.

Der Winter von 1917/18 war ziemlich gelinde. Das war auch sehr gut. Trotzdem mangelte es an Brennmaterial. Steinkohlen waren fast gar nicht zu haben. Zu den Truppenverschiebungen [S. 43] waren fast alle Eisenbahnwagen nötig. Die Holzpreise stiegen ungeheuer (1 rm Buchenscheite 15 bis 25 Mark). Im Januar (16./17. 1918) herrschte eine Hochflut, wie ich sie in meiner 29-jährigen Tätigkeit bisher nicht erlebt habe. Vor dem Schulhaus stieg das Wasser bis auf die Straße. Alles Vieh mußte auf der Insel entfernt werden. Teilweise hatte die Lahn einen großen Schaden angerichtet. In Friedensdorf hatte es die Betonbrücke zusammengerissen.

Indessen hatte das Schwert im Osten den Frieden entschieden. Das geschlagene Rußland war schon lange gezwungen, Frieden zu schließen. Die Revolution von 19171 war das erste Anzeichen, daß Kriegsüberdruß das ganze russische Volk mit elementarer Gewalt gefaßt hatte. Das kurze Telegramm lautete: "Berlin, 3. März 1918: Der Friede mit Rußland ist heute 5 Uhr nachmittags unterzeichnet worden."2 Fruchtbare Teile des russischen Reiches sind von dem russischen Staatswesen völlig losgetrennt worden:
Kurland, Livland, Estland, Finnland, Ukraine und Bessarabien3 . Die Ostseeprovinzen schließen sich eng an Deutschland an. Die Ukraine wird eine Volksrepublik. Allen diesen obengenannten Gebiete werden aus der ehemaligen Zugehörigkeit zu Rußland keinerlei Verpflichtungen gegenüber Rußland erwachsen. Rußland verzichtet so auf jede Einmischung in die inneren Verhältnisse dieser Gebiete. Dazu verpflichtet sich Rußland, alle diese Gebiete sofort von jeglichen dort noch befindlichen Truppen und Roten Garden zu befreien, verpflichtet sich weiter, mit der ukrainischen Volksrepublik sofort Frieden zu schließen und den zwischen dieser und den Mittelmächten am 9. Februar geschlossenen Frieden anzuerkennen. Außerdem muß Rußland die noch besetzten Gebiete der Türkei unverzüglich räumen sowie die staatliche Integrität Persiens und Afghanistans wiederherstellen und weiter wahren. Hinzu kommen noch Bedingungen, die für die Sicherheit der Mittelmächte während des noch fortdauernden Krieges mit den Westmächten von besonderer Bedeutung sind: alle russischen und im russischen Herrschaftsbereich befindlichen Ententekriegsschiffe müssen desarmiert oder in russischen Häfen [S. 44] festgelegt werden und jede Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die Staats- und Heereseinrichtungen der Vierbundmächte unterlassen werden. Auf Befehl seiner Majestät4 fiel am 5. März mit Rücksicht auf den russischen Friedensschluß der Unterricht aus.


  1. In der Februarrevolution von 1917 wurde das Zarenregime in Russland gestürzt, durch die Oktoberrevolution von 1917übernahmen die Bolschewisten die Herrschaft in Teilen des ehemaligen Zarenreiches.
  2. Durch den Frieden von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 zwischen der Sowjetregierung und den Mittelmächten wurden die Kampfhandlungen an der Ostfront beendet.
  3. Bessarabien, heute Teil der Republik Moldawien. Nach der russischen Oktoberrevolution erklärte sich Bessarabien am 15. November 1917 als Moldawische Demokratische Republik für unabhängig, kam jedoch schon im Januar 1918 unter Kontrolle der Bolschewisten. Nach Einmarsch rumänischer Truppen vollzog Bessarabien am 9. April 1918 seinen Anschluss an Rumänien.
  4. D.h. Kaiser Wilhelms II.

Personen: Zölzer, Heinrich Carl · Christian, Dekan
Orte: Buchenau · Marburg · Lahn (Fluss) · Friedensdorf · Russland · Berlin · Kurland · Livland · Estland · Finnland · Bessarabien · Ukraine · Türkei · Persien · Afghanistan · Brest-Litowsk
Sachbegriffe: Diphterie · Epidemien · Krankheiten · Kliniken · Schulen · Preisentwicklung · Teuerung · Kriegsbeihilfen · Kohlenmangel · Witterung · Eisenbahn · Holzpreise · Brennholz · Hochwasser · Russische Revolution · Volksrepubliken · Rote Garden · Schulfrei · Frieden von Brest-Litowsk · Bolschewisten
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919, Abschnitt 13: Diphteriewelle, Friedensschluss mit Russland“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/20-13> (aufgerufen am 25.04.2024)